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Im Auftrag des Tigers

Im Auftrag des Tigers

Titel: Im Auftrag des Tigers
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Hinter der Sandbank, an der Biegung, wo der Fluß im Wald verschwand, zogen sich drei Lichtstreifen vom Ufer zur Mitte. Sie zerschnitten das Dunkel. Sie leuchteten wie geschmiedetes Silber. Das Wasser blieb nichts als flüssiger, schwarzer Lack.
    Sie lag auf der Seite, die linke Pfote nach vorn geschoben, und beobachtete das Licht. Sie lag völlig reglos. Gelegentlich krümmte sich die Schwanzspitze ein. Das war alles.
    Seit einer Stunde lag sie so, lauschte den Geräuschen des Waldes, dem Gleiten einer Schlange, dem Ruf eines Tapi -Vogels, und hatte den Blick auf die Silberstreifen gerichtet. Hunger spürte sie nicht mehr. Auch nicht die Schwäche. In den letzten Tagen hatte sie für ihre beiden Jungen ein halbes Dutzend der pfundschweren Kröten gesammelt, die sich am Rand der Mangroven finden ließen. Doch die Kleinen hatten sich geweigert, und so hatte sie sie selbst verschlungen. Dann das Hirschkalb … Es war zu klein. Nur Knochen.
    Nun war sie ruhig. Nun war alles gut. Nun mußte sie nur warten.
    Der erste Lichtstreifen erlosch. Dann der zweite.
    Sie schob den mächtigen, gestreiften Kopf nach vorne, zog die Lippen über die Fangzähne und sog Luft ein, um Witterung zu nehmen. Nichts … Sie spannte die Lendenmuskeln und erhob sich.
    Der dritte Silberbalken – verschwunden. Der Mond hatte sich endgültig hinter die Wolken zurückgezogen, die über dem Wald hochwuchsen, doch die Tigerin verhielt noch immer im Schutz des Farns. Ihr Herz schlug langsam. Sie war wie eingebettet in einen Strom von zeitloser Geduld. Sie würde keinen Fehler machen. Sie durfte keinen Fehler machen. Sie mußte den Jungen Fleisch bringen.
    Das Licht? …
    Weiter unten, wo die Berge höher wurden, und das Tal tiefer, gab es bei Nacht ein ähnliches Licht. Streifen von Licht. Und die Luft war erfüllt von fremden Gerüchen. Und Stimmen. Gefährlichen Stimmen. Und es gab ein dumpfes Dröhnen, das auch, in der Dunkelheit nicht verstummte und noch bei Mondschein anhielt – ein dumpfes, schreckliches Dröhnen, das wie das Pochen eines gewaltigen, kranken Herzens klang. Es bedeutete Gefahr. Und so war sie mit den Jungen hochgewandert, den Fluß entlang, um sich ein neues Revier zu suchen.
    Sie würde auch hier weiterziehen.
    Sie setzte den linken Fuß vor, spürte einen Ast. Sie verlagerte das Gewicht. Der Ast brach nicht. Nun den anderen Fuß. Der Boden war feucht und bewachsen, und so kam sie völlig lautlos bis zu der kleinen Lichtung, in der sie vergangene Nacht das Wildschwein erschlagen hatte. Ein Eber. Eber konnten tückisch sein. Die Tigerin hatte drei Narben. Zwei an der rechten Flanke, eine an der linken Brustseite. Die an der Brust schmerzte noch immer. Und alle drei stammten von Eber-Hauern.
    Den Eber der vergangenen Nacht hatte sie überrascht. Als er sich stellen wollte, war es schon zu spät. Sie hatte ihm mit dem ersten Schlag den Rückenmuskel aufgerissen und mit dem zweiten das Rückgrat zertrümmert. Unnötig, ihm noch die Kehle durchzubeißen, aber sie hat es dennoch getan … Er war unerfahren, jung, doch Gott sei Dank schon ausgewachsen. Wie jung er tatsächlich war, erkannte sie, nachdem sie ihn aus der Lichtung in den Baumschutz gezerrt hatte, um ihn dort auszuweiden. Zart das Fleisch, frisch, das Blut jung und gut. Wie immer hatte sie mit der Arbeit von hinten begonnen. Sie schlitzte den Bauch auf, entfernte den Magensack, wobei sie sorgsam darauf achtete, daß die Zähne nicht die Wand des Magens aufrissen. Sie legte ihn sorgfältig neben den Kadaver, biß dann so große Stücke von Lenden und Rücken, wie sie nur konnte, und machte sich auf den Weg zum Versteck der Jungen.
    Nun, in dieser zweiten Nacht, brauchte sie die Beute nicht mehr zu suchen. Sie roch sie. Ein angenehmer Geruch, noch angenehmer als am Vortag. Die Maden und Käfer, die den aufgerissenen Körper wie mit einer zweiten, beweglichen, neuen Haut bedeckten, störten sie nicht. Ein Vogel machte sich an dem toten Eber zu schaffen. Sie scheuchte ihn mit einer Kopfbewegung zurück in den Wald. Sie nahm soviel Fleisch, als sie tragen konnte, und machte sich wieder auf den Weg.
    Die Jungen hatten sie gehört.
    Letzte Nacht noch waren sie dazu zu schwach gewesen, nun kamen sie ihr entgegen. Der größere stieß sie von hinten an und versuchte noch vor dem Eingang in die Grube nach dem Fleisch zu schnappen. Keuchend unter der Last des Gewichts gab sie ein Knurren von sich. Und der Kleine setzte sich einfach auf seine Keulen und starrte sie verklärt an. Er
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