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Blut und Rüben

Blut und Rüben

Titel: Blut und Rüben
Autoren: Uwe Voehl
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I. A UFSTELLUNG
    Selig sind die geistig Armen,
    denn sie stecken nie die Nase
    in den Brunnenschacht des Lebens
    voll gefährlich gift’ger Gase
    (Christian Morgenstern)
    » Hier isse, die Rübe!«, sagte der Dicke.
    »Du bist so blöd wie ein Haufen Scheiße! Was soll das? Habe ich dir gesagt, du sollst ihn hierher bringen?«
    »Dachte, du wolltest ihn dir mal angucken.«
    »Reicht mir, dass ich ihn lebend schon nicht mehr ertragen konnte. Jetzt bringst du Idiotenschädel mir seinen Kopf!«
    »Seine Rübe!«, kicherte der Dicke.
    Das Glitzern in den Augen des Dicken gefiel dem anderen nicht. Es hatte etwas Unberechenbares. Er überlegte, ob es richtig war, ihn noch länger am Leben zu lassen. Zu großes Risiko. Und er hätte die Verwandtschaft des Dicken am Hals. Und wenn es aussah wie ein Unfall?
    »Jetzt schaff den Kopf dorthin, wohin ich es dir aufgetragen habe!«
    »Willst du ihn dir nicht erst angucken?«
    »Hab ich doch gesagt: Nein!«
    Der Dicke knallte die Tüte demonstrativ auf den Tisch. Es erzeugte einen platschenden Laut, so als würden sich darin ein paar Kilo Gehacktes befinden. Tatsächlich prangte auf der Plastiktasche der Name einer stadtbekannten Metzgerei.
    »He, sei vorsichtig, den Kopf brauchen wir noch!«, sagte der andere. Allmählich hatte er es satt, sich mit dem Idioten abzugeben.
    »Hackfresse!«, grinste der. »Dem macht nichts mehr was aus!«
    »Hör zu, du bringst jetzt den verdammten Kopf weg!«
    »Erst musst du ihn dir angucken.«
    »Was ist das denn für ein Spiel?«
    »Mein Spiel.« Das Grinsen war aus dem Gesicht des Dicken verschwunden.
    »Und danach bringst du ihn weg, klar?«
    »Klar.«
    Der andere beugte sich über die Tüte. Der Gestank, der daraus entwich, war unbeschreiblich. Dennoch zwang er sich, einen Blick hineinzuwerfen.
    Es war nicht viel zu erkennen: Es sah tatsächlich ein bisschen aus wie eine rohe Fleischmasse. Mit zwei Augen darin, die ihn irgendwie anstarrten. Aus der Wunde am Hals baumelte allerhand Zeug heraus.
    Es ist nur Fleisch. Totes Fleisch, sagte er sich.
    Aber er wusste, dass die Augen ihn noch lange verfolgen würden. Scheiße.
    »So, das reicht, du Arschloch. Zufrieden?«
    »Geht so.«
    »Was heißt: geht so?«, äffte der andere ihn nach. »Jetzt verschwinde endlich!«
    »Warum bringst du ihn eigentlich nicht zur Ruine hoch?«
    »Ich? Bist du bescheuert?«
    »Nein, im Ernst: Warum soll ich immer den ganzen Scheiß machen?«
    »Weil wir das so abgesprochen haben.«
    »Wir haben nichts abgesprochen.«
    Der andere seufzte. Allmählich verlor er die Geduld. »Na schön«, sagte er schließlich, »mal hören, was die Polizei dazu meint, wenn sie dich mit dem Kopf aufgreifen. Die stecken dich in die Klapse – lebenslänglich ...« Er holte sein Handy hervor und tat so, als würde er eine Nummer wählen.
    Der Dicke wurde plötzlich ganz friedlich. »Lass das, war doch nur ein Witz!«
    »Ich mag solche Witze aber nicht!«
    »Leg den Hörer weg!«
    »Erst wenn du endlich abhaust. Mitsamt der Tüte.«
    »Leg den Hörer weg!«
    »Erst ...«
    Der Dicke sprang los. Bevor der andere reagieren konnte, hatte sein Gegner ihm das Handy aus der Hand geschlagen. Dann spürte er dessen Faust im Magen. Er klappte zusammen. Ein weiterer Schlag traf ihn im Nackenwirbel. Er ging zu Boden, krümmte sich.
    »Das machst du nie wieder, hörst du?«, heulte der Dicke. »Hörst du?«
    Mit jedem »Hörst du?« trat er zu.
    Der andere ächzte: »Hör auf! Ich mach es nicht wieder! Versprochen!«
    Der Dicke ließ von ihm ab.
    »Ich gehe jetzt«, sagte er. »Ich nehm die Tüte mit.«
    »Ich danke dir.«
    Erst als der Dicke gegangen war, rappelte der andere sich auf.
    Das konnte schiefgehen. Das konnte verdammt schiefgehen.
    Er hatte nicht gewusst, dass er es mit einem Irren zu tun hatte.
    Er musste ihn aus dem Weg räumen. Bald.
    Sehr bald.

1.
    Die Störche waren zurückgekehrt. Trotz der Kälte, wie die stets fröhliche Steffi Klug von Teuto Eins verkündete. Sie hörte sich derart munter an, dass ich ihr den Hals hätte umdrehen können. Wir schrieben den kältesten April seit gefühlten tausend Jahren, und ich beschloss, dem Radiowecker zu trotzen und mich tiefer in meine Bettdecke zu kuscheln. Dennoch war ich gezwungen, mit halbem Ohr die weiteren Nachrichten mitzuhören.
    In Bielefeld hatte ein sogenanntes Rollkommando, allesamt Bodybuilder aus dem Türstehermilieu, einen Rechtsanwalt bedroht.
    In Petershagen hatte ein unter Mordverdacht stehender Schornsteinfegermeister
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