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Im Auftrag des Tigers

Im Auftrag des Tigers

Titel: Im Auftrag des Tigers
Autoren: Heinz G. Konsalik
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an. Nur draufhalten … Oft genug hatte sie sich in ähnlichen Situationen befunden. Und sich an dem einzigen Gedanken festgeklammert: Bring's hinter dich! Hauptsache, du hast's im Kasten. Überlegen kannst du später. Dann, wenn die Bilder ausgewertet werden …
    Sie schaltete die Sony ab und legte sie auf die Koje, nahm die Gummihandschuhe aus der Tasche und zog sie über die Hände. Trotz der Stablampe konnte sie kaum etwas erkennen. Ihre von dem Lichtbad überstrapazierte Netzhaut mußte sich erst an die Dämmerung gewöhnen. Mancher konnte da draußen vorbeigondeln und aufmerksam werden. Auch jetzt. Die Hafenpolizei zum Beispiel interessierte sich für Sampans. Vor allem für solche, die erleuchtet waren wie ein Hollywood-Studio. Vielleicht auch gab es jemand, der einen der festgezurrten Lastkähne besuchen wollte …
    Sie konzentrierte sich wieder auf den Schrank.
    Sechs Regalfächer. Keine Schublade. Im unteren Fach eine rechteckige Stahlkassette.
    Sie nahm sie zuerst. Sie war schwer und verschlossen. Sie untersuchte das Schloß. Aussichtslos, zu raffiniert gebaut. Nicht zu knacken.
    Sie stellte die Kassette zurück.
    Weiter … Das nächste Fach.
    Flechtkörbe … Vier Stück. Und daneben ein halbes Dutzend Glasbehälter. Das Glas funkelte im Licht. Die Flaschen waren alle etwa handspannengroß und verjüngten sich zu schmalen Hälsen, die mit hübschen, konisch zugeschliffenen und gleichfalls gläsernen Stöpseln verschlossen waren. In zwei Behältern befand sich ein sonderbares, feinkörniges, lehmbraunes Pulver, zwei andere enthielten eine Flüssigkeit. Die Farben changierten von honigfarben bis dunkelbraun.
    Sie hielt eines der Glasgefäße ans Licht und schüttelte es. Die Flüssigkeit zog Schlieren. Irgendwie erinnerte das Maya an die indischen Flakons, in denen ihre Großmutter Kräuter-Liköre bewahrte. Aber dies war kein Kräuterlikör, es war etwas anderes: ›Tiger-Essenzen‹ nannten sie es. Es gab Tiger-Wein, Tiger-Pillen. In China, vor allem aber in Taiwan existierten pharmazeutische Fabriken, die mit diesem Schandzeug astronomische Gewinne machten. Die Krönung blieb die Tiger-Essenz. Und aus diesem Pulver hier konnte man sie wohl herstellen.
    Sie ließ den Blick über die Flechtkörbe streifen. Anzufassen brauchte sie sie nicht, sie wußte ohnehin, was sie enthielten: Tiger-Knochen. Schulterknochen. Schulterblätter. Rippen. Lendenschaufeln. Lendenwirbel. Sprunggelenke …
    »Die benutzen alles«, hatten sie ihr in London gesagt. »Die knallen noch die letzten Amur-Tiger in Rußland ab und schicken sie nach Taiwan. Selbst der Bengal-Tiger ist wieder bedroht. Und trotz aller Abkommen und großartigen Erklärungen … jetzt geht's auch noch den letzten Tigern in den malaiischen Reservaten an den Kragen …«
    Rick Martin, der Chef der Organisation in London, hatte ihr eine Karte gezeigt. Es war eine graphisch vereinfachte Darstellung eines Tigerkörpers. Schwarze, feine Linien führten zu den einzelnen Gliedern und Organen der Großkatze. Die Linien waren beschriftet, und die Namen zeigten die Krankheiten an, die mit Hilfe einer aus dem einen oder anderen Körperteil gewonnenen Arznei kuriert werden sollten: ›Hinteres Sprunggelenk – Arthritis des Knies‹. Daran erinnerte sie sich noch, weil es ihr so verrückt erschienen war. Gewisse Tigerteile wie Hoden, Penis, Stirnbein und Lendenwirbel dagegen galten in der chinesischen Heilkunst seit Jahrhunderten als Aphrodisiakum, als das wirksamste Mittel zur Förderung der männlichen Potenz …
    »Die nehmen einen Schluck Tiger-Wein und glauben, dann könnten sie jedes Mädchen bespringen«, hatte Rick Martin getobt. »Sie stellen eine Essenz her, also ein höheres Konzentrat, – der berühmte Tiger-Wein ist nämlich eins zu zweihundertzwanzig gepanscht –, die aus irgendwelchen senilen Schlappschwänzen röhrende Hirsche machen soll. Und die glauben das wirklich. Zahlen Wahnsinnssummen. Ein Tiger, auf diese Weise ausgeschlachtet, bringt sechzigtausend Dollar. Wir haben mit Schmugglern an der Rußland-China-Grenze, am Ussuri gesprochen. Sie bekommen für zehn Kilo getrocknete Tigerknochen dreitausend Mark. Ein Ranger wiederum, ob nun in Rußland oder irgendwo in den Tiger-Reservaten in Bengalen oder Indochina, der Mann also, der die armen Viecher vor der völligen Ausrottung schützen soll, was kriegt der? Dreißig, vielleicht fünfzig Dollar im Monat! Und für ihren fantastischen Wein bringen dieselben zehn Kilo wiederum über
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