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Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser

Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser

Titel: Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser
Autoren: Carola Dunn
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    Daisy hielt oben auf der gemauerten Treppe inne, die von der Terrasse in den Garten führte. Der afrikanische Butler hatte zwar gesagt, Lady Cheringham sei hinten im Park zu finden, aber von Daisys Tante war nirgends etwas zu sehen.
    Zu beiden Seiten der Treppe blühten Rosen, deren Duft die windstille Luft erfüllte. Von der untersten Stufe führte ein Kiespfad durch den Rasen, der sich – zum Teil im Schatten einer riesigen Kastanie – glatt wie ein Bowling Green zum Fluß absenkte. Die graugrüne Themse machte hier einen Bo- gen, um dann ohne Eile und doch unaufhaltsam nach London und in die See hinauszuströmen.
    Etwas weiter den Fluß aufwärts sah Daisy die Bäume von Temple Island, die das Städtchen Henley-on-Thames verdeck- ten. Stromabwärts markierten die weißen Gebäude von Hambleden Mill und die Holzkonstruktion, die den Boots- kanal vom Flutgang der Mühle trennte, die Stelle, an der sich die Schleuse befand. Hinter dem Treidelpfad auf der gegenüber- liegenden Seite des Flusses, in Berkshire, erhob sich Remenham Hill vor einem baumbestandenen Hügel. Am diesseitigen Ufer, am Fuß des Rasens also, befand sich ein langes, niedriges Bootshaus, das halb von Büschen und einer wildwachsenden, lilablühenden Clematis verdeckt wurde. Ein Landesteg aus Holzplanken führte am Ufer entlang. Seite an Seite lagen zwei Skiffs daran festgetäut, deren bunte Kissen in der Sonne leuch- teten. Auf dem Steg standen zwei Mädchen in Sommerklei- dern, das eine gelb, das andere blau. Keines trug einen Hut.
    Erleichtert seufzend nahm auch Daisy ihren Hut ab. Die Brise vom Wasser fuhr ihr kühl durch die kurzgeschnittenen, honigblonden Locken.
    Die beiden Mädchen blickten stromaufwärts, wobei sie mit den Händen die Augen vor den Strahlen der langsam sinken- den Sonne abschirmten, die immer noch recht hoch am wol- kenlosen Himmel stand. Von ihrem erhöhten Aussichtspunkt aus folgte Daisy ihrem Blick und sah einen Achter, der aus der Engstelle nördlich der Insel hervorkam. Das schlanke Boot wirkte durch die Entfernung verkürzt, wie ein merkwürdig langsam kriechendes Insekt, dessen Beine aus Rudern sich im Paßgang hoben und senkten. Die Stimme des Steuermanns war schon zu hören.
    »Hab ich dich!« Dieser Triumphschrei aber kam aus der Nähe, ausgestoßen von einer weiblichen Stimme.
Daisy schaute hinunter und sah ein Hinterteil, in fleckiges braunes Leinen gekleidet, das sich vorsichtig rückwärts aus einem Rosenbeet bewegte, gefolgt von einem breitkrempigen Strohhut.
»Hallo, Tante Cynthia.«
»Ich sage es ihm mit Menschen- und mit Engelszungen: bei Löwenzahn muß man mehr tun als immer nur die Blüte ab- schneiden.« Lady Cheringham richtete sich auf und streckte eine Hand im schlammbedeckten Handschuh vor, in der eine fast vierzig Zentimeter lange Löwenzahnwurzel baumelte. Auf ihrem schmalen Gesicht, von den Jahrzehnten unter der tropischen Sonne förmlich gegerbt, lag ein Lächeln. »Hallo, Daisy. Du liebe Zeit, ist es etwa schon nach vier Uhr?«
Daisy ging die Stufen hinunter. »Viertel nach erst. Der Zug kam auf die Minute pünktlich, und der Chauffeur wartete ja schon am Bahnhof.« Sie stolperte fast über einen Garten- schlauch auf der untersten Stufe.
»Vorsicht, Liebes! Ich habe gerade diesen gräßlichen Blatt- läusen auf den Rosen einen ordentlichen Giftcocktail verpaßt, und dann habe ich den Löwenzahn entdeckt.«
»Ich hoffe, das war kein tödliches Gift? Dir ist da etwas auf die Bluse getropft.«
»Nur Tabakwasser, aber ich sollte das wohl schnell aus- waschen. Gräßliche Flecken.« Lady Cheringham ließ die Löwenzahnleiche neben die am Boden liegende Düse des Gartenschlauches fallen. »Bister will einfach nicht zugeben, daß man mit einer schlichten Gartenhacke gegen dieses Un- kraut völlig machtlos ist. Aber so ist das eben, wenn man sich nur einen Chauffeur-Schrägstrich-Gärtner-Schrägstrich-Mäd- chen-für-alles leisten kann.«
»Ich finde Löwenzahn eigentlich ganz nett«, gestand Daisy.
»Es wird ihn immer geben, keine Sorge. Egal, wie viele da- von wir Gärtner abschlachten, es wachsen dauernd welche nach.« Ihre Tante nahm einen Korb mit Unmengen von rosa und gelben Rosen auf. »Eigentlich wollte ich ja nur mal die abgeblühten Rosen abschneiden und für euer Zimmer einen kleinen Strauß holen – ich hoffe, es macht dir wirklich nichts aus, bei deiner Cousine im Zimmer zu übernachten? Das Haus ist dieser Tage bis unter das Dach mit Gästen voll.«
»Aber überhaupt nicht. Im
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