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Eine Leiche zum Nachtisch (German Edition)

Eine Leiche zum Nachtisch (German Edition)

Titel: Eine Leiche zum Nachtisch (German Edition)
Autoren: Martin Johannson
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Prolog
     
    Es gab keinen brutaleren Mörder als die Berge. Vielleicht noch das Meer. Und die Wüste – wahrscheinlich auch die Stadt. Und wenn man es recht überlegte, auch die Landstraße. Aber nichtsdestotrotz waren die Berge unbarmherzig, tödlich, gar mörderisch und in ihrer Raffinesse im Töten unübertroffen. Sie meuchelten mit Klippen, mit Lawinen und Eis. Mit heimtückischen Abgründen, die sich wie aus dem Nichts vor dem ahnungslosen Touristen auftaten und ihn in die Tiefe rissen. Nicht zu vergessen hinterlistige Felsbrocken, die sich Skifahrern mitten in der Abfahrt gemein in den Weg stellten. Sie ließen ungeschickte Füße an ihren Felsen abrutschen und die dazugehörigen Körper mit einem lauten Klatschen auf Vorsprüngen zerschellen. Sie erdrückten und erstickten, erschlugen und erfroren. Nichts Grausames war ihnen fremd, vor keinem Mordinstrument schreckten sie zurück. Es wurden schon Leichen gefunden, die von Ästen oder Skibrettern wie von Messern durchbohrt waren. Auch Körper mit Wasser in den Lungen, als wären sie ertrunken, fanden sich in den Leichenhallen der Bergstädte. Verblutet und verhungert, verdurstet und sogar elektrifiziert, da die Berge nicht einmal davor zurückschreckten, mit Blitz und Donner zusammenzuarbeiten, um den Menschen den Garaus zu machen. Doch an diesem letzten Tag des Jahres in der beißenden Kälte des Winters trugen die Berge keine Schuld an den blutigen Ereignissen auf einem verschneiten Eisfeld. Sie waren nur Zeugen. Sie sahen, wie menschliches Blut rot und warm in den weißen, klaren Schnee tropfte, sich in das Eis fraß und eine Spur darin hinterließ, die aussah wie das Sternbild Orion.
»Verflucht«, wisperte ein Mann und hielt den Zeigefinger in die Höhe, in dem eine tiefe Wunde klaffte und stark blutete. In der anderen Hand hielt er ein blutbeschmiertes Messer, das neben dem Orion gerade das Sternbild Adler im Schnee entstehen ließ.
    Der Mann sah auf. Hinter ihm erhoben sich die Berge wie Riesen, allmächtig und gewaltig, mitleidlos auf die Menschen herabblickend, die ihrer Herrschaft ausgeliefert waren. Vor ihm gähnte eine tiefe Schlucht, unergründlich, schwarz und tödlich. In der Ferne lag das Dorf im Tal, das sich im Schatten der Gipfel schutzsuchend an die Berghänge schmiegte und unzählige lebendige Ski-Touristen mit warmen Stuben und heißem Grog versorgte.
    Doch der Mann hatte keinen Sinn für das Skifahren oder die Gewalt der Berge, jedenfalls nicht jetzt. Er steckte das Messer ein und beugte sich über ein regloses Bündel in der Form eines Menschen am Boden, während sein Blut weitere Sternbilder in den Schnee malte.
    »Der Tod ist Leben«, flüsterte er der Gestalt zu seinen Füßen zu. »Du wirst wahrhaftig auferstehen.« Er gab ihr einen Tritt, so dass sie über den Schnee rollte. Kurz vor dem Abgrund blieb sie liegen. Der Mann lief ihr hinterher und versetzte ihr einen weiteren Tritt. Mit einem leisen Poltern fiel das Bündel Mensch über den schneebedeckten Felsen in die Tiefe, blieb für einen Moment an einem Felsvorsprung hängen, dann plumpste es unten in der Schwärze der Schlucht in den Schnee. Zarte Flocken stoben auf und legten sich danach sanft auf das menschliche Paket.
»Ruhe in Frieden, mein treuer Freund«, murmelte der Mann hinunter in das düstere Grab, dann zog er seine Kapuze tief ins Gesicht, lief davon und verschmolz mit den unheimlichen Schatten der Berge.
     

Die Ankunft
    Das Geräusch seiner Skier auf dem reinen, frischen Schnee des Hangs erinnerte Simon Neumayer an das Ticken einer Uhr. Schch…schsch…schsch klang es in bestechender Gleichmäßigkeit auf der weißen Piste, auf der er in schnellem Tempo den Berg hinunterwedelte. Bei jeder Wendung stiebte der feine Schnee auf und glitzerte in der Sonne. Das perfekte Wetter für einen perfekten Tag, dachte der Mann. Wenn nur Lukas endlich auftauchen würde. Wo trieb er sich nur rum?
    Simon hatte gerade die Bergspitze abgesucht, dort, wo der Skilift endete und sich die Touristen auf den Pisten verteilten. Lukas fuhr gern zur Mittagszeit den Lift nach oben, um dann einen Hang hinunterzujagen, wie er es schon als Kind geliebt hatte. Doch Simon hatte Lukas nirgends entdecken können. Es war bereits spät, und eigentlich hätte Lukas schon längst zurück sein müssen, um eine letzte Durchlaufprobe für den Abend mitzumachen und die Gäste in Empfang zu nehmen, doch er war nicht erschienen.
Simon ärgerte sich erneut über diese Verspätung und gab sich mit den
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