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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe
Autoren: Ciara Geraghty
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sich von ihrer Jacke, und er pfefferte sie auf den Boden und streifte sich daran die Schuhe ab. Dara wehrte sich, selbst jetzt noch, nach all den Monaten. Verglichen mit dem stämmigen Big D war Dara zwar nur eine halbe Portion und konnte es kraftmäßig niemals mit ihm aufnehmen, aber gerade weil sie so klein und drahtig war, gelang es ihr manchmal, sich aus seinem Griff zu winden. Er drückte sie an den Rauputz der Mauer, und die Kiesel bohrten sich in ihre Wange.
    »Lass sie los.«
    Big D war mindestens genauso überrascht wie Dara. Er trat zurück und ließ Daras Hals los.
    »Angel«, sagte Dara. Sie rührte sich nicht vom Fleck.
    »Alles klar?« Angel sah flüchtig zu ihrer Schwester, während sie entschlossen auf Big D zuging. Dara nickte und blickte zu Damien, der plötzlich kleiner wirkte, eher fett als muskulös. Erst jetzt bemerkte sie die roten, eitrigen Pickel auf seiner Stirn.
    Er musterte Angel unbeeindruckt. Überheblich. Schließlich war sie nur ein Mädchen, und obendrein kleiner als er. Mit ihren blonden Haaren und den hellblauen Augen stellte sie in seinen Augen offenbar keine echte Bedrohung dar.
    Doch er lag falsch.
    Angel packte ihn mit beiden Händen an den Jackenaufschlägen, hakte ein Bein um seine Beine und stieß ihn um. Er ging zu Boden wie ein Sack Kartoffeln, schwerfällig und im Zeitlupentempo. Angel holte mit dem Fuß aus und verpasste ihm einen kräftigen Tritt in die Rippen, und das genügte bereits, um ihn zum Flennen zu bringen. Er greinte wie ein an Blähungen leidendes Baby und presste sich wütend die Fäuste in die Augenhöhlen, aber die Tränen sickerten zwischen seinen Fingern hindurch. Angel ging
neben ihm in die Hocke. Sie musste ihn nicht festhalten – er machte keinerlei Anstalten aufzustehen.
    »Wenn du Dara noch ein einziges Mal wehtust, bringe ich dich um. Kapiert?« Keine Reaktion. Angel platzierte ein Knie auf seinem Hals und drückte kräftig zu. Er quiekte auf wie ein abgestochenes Ferkel.
    »KAPIERT?«, fragte sie erneut, über sein Gesicht gebeugt.
    Er nickte hastig. Sie stand auf und wischte sich mit angeekelter Miene die Hände an ihrer Schuluniform ab. Dann sammelte sie Daras Sachen ein – Kapuze, Schultasche, Mütze und Schal – und nickte ihr zu.
    »Solltest du nicht in der Schule sein?«, fragte Dara und stiefelte los in Richtung Raheny Road.
    »Ich hab geschwänzt.«
    Dara ergriff Angels Hand und sah lächelnd zu ihr hoch. Meine große Schwester, die einfach alles kann, dachte sie. Angel drückte ihre Finger, ehe sie wieder losließ.
    »Warum hast du nichts gesagt?«, fragte sie, als sie zu Hause waren. Mrs. Flood war bei einer Kundin.
    »Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Ich dachte, er würde irgendwann aufhören.«
    Angel schüttelte den Kopf, während sie Dara etwas Rauputz aus den Haaren pickte. »Versprich mir, dass du Bescheid gibst, falls es wieder passiert.«
    Aber es passierte nicht wieder. Es hatte drei Monate, zwei Wochen und vier Tage gedauert, und in diesen drei Monaten, zwei Wochen und vier Tagen hatte Dara sie gespürt, die Angst. Sie hatte sich durch ihre Eingeweide geschlängelt und dem Essen den Geschmack geraubt, hatte Licht in Schatten verwandelt und die Nächte finsterer und länger werden lassen. Sie hatte dafür gesorgt, dass ihre
Kehle wie ausgetrocknet war und ihr das Herz bis zum Hals schlug, so heftig, dass es schmerzte.
    Genau diese Angst empfand Dara nun auch. Doch diesmal konnte sie nicht auf Angels Beistand hoffen. Diesmal war sie allein.



4
    Dara erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem Angel krank wurde, nachdem sie ihr Leben lang kerngesund gewesen war. Angel war damals dreiundzwanzig gewesen, frischgebackene Lehrerin und im Begriff, ihr zweites Unterrichtsjahr an der örtlichen Grundschule anzugehen. Und bis über beide Ohren verliebt in ihren fabelhaften Freund Joe, den Feuerwehrmann.
    Dara war zweiundzwanzig gewesen, und sie erinnerte sich an jeden einzelnen Tag dieses Jahres, denn in diesem Jahr war sie glücklich gewesen – bis Angel krank geworden war. Es war das Jahr, in dem sie ihren Cockerspaniel George bekommen hatte. Sie hatten im Hundeasyl keine neuen Besitzer für ihn gefunden, vielleicht weil er im Gegensatz zu anderen Hunden nur drei Beine hatte. Auch Mrs. Flood hatte ihn nicht im Haus haben wollen.
    Schließlich war es Angel gelungen, sie umzustimmen, und obwohl Mrs. Flood ausdrücklich betont hatte, sie wolle nichts mit diesem Hundevieh zu schaffen haben, war sie es, die George
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