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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe
Autoren: Ciara Geraghty
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VORWORT
    Dara Flood behauptet stets, das Interessanteste an ihr sei das, was sich vor ihrer Geburt ereignet hat.
    Es war an einem Dienstagabend gewesen. Mr. Flood war wie immer um sechs in seinem verbeulten alten Ford vorgefahren. Er hatte den Wagen geparkt, das Fenster heruntergekurbelt, den Kopf hinausgestreckt und ihrer Mutter zugeblinzelt, die ihn wie immer an der Haustür erwartet hatte.
    »Gut sehen Sie aus, Mrs. Flood«, hatte er mit einer Zigarette zwischen den Lippen gesagt. Sein üblicher Gruß.
    Sie hatte gelächelt, die Hände auf ihrem riesigen Babybauch. »Heute wurde das Bettchen geliefert. Es steht im Flur, noch eingepackt.«
    Er war ausgestiegen und hatte sich den Staub von der Hose geklopft. »Hervorragend«, hatte er gesagt. »Ich geh nur noch schnell Kippen holen.«
    Sie hatte genickt und sich gemächlich zurück ins Haus begeben. An der Schwelle hatte sie sich noch einmal umgedreht. Sie weiß bis heute nicht, warum. Er hatte auf halbem Wege angehalten, und da stand er nun und sah zu ihr zurück. Er hob den Arm, winkte und sagte etwas, das sie jedoch nicht hören konnte. Sie winkte zurück, obwohl das nicht zum üblichen Prozedere gehörte. Schließlich wandte er sich um und ging weiter. Sie blieb stehen und rubbelte an einem imaginären Fleck an der Glasscheibe der Haustür,
doch in Wahrheit beobachtete sie ihn. Seine breiten Schultern, die rabenschwarzen Haare, die bei jedem seiner forschen Schritte wippten. Sie sah ihm nach, bis er verschwunden war.
    Dann trat sie ins Haus, schob sich an der großen Schachtel im Flur vorbei und ging in die Küche, wo zwei Koteletts unter dem Grill brutzelten.
    Sie drehte sie um, stach mit einer Gabel in die Kartoffeln, öffnete eine Dose Erbsen. Sie sah nach Angel, die in ihrem Kinderwagen schlief, und lächelte, als sie spürte, wie ihr Dara von innen gegen die Bauchdecke trat.
    Dann setzte sich Mrs. Flood an den Tisch und wartete auf Mr. Floods Rückkehr.
    Doch er kam nicht zurück.
    Und sie sah ihn nie wieder.

I



1
    Das Telefon klingelte um zwei Uhr Nachts.
    Dara Flood schlafwandelte gerade. Sie ging nie weit – meist stieg sie die Treppe hinunter, drehte eine kurze Runde durch das Erdgeschoss und begab sich wieder nach oben, wobei sie die zweite Stufe von oben mied, die knarrte, wenn man auf sie trat. Sie wusste das, weil ihre Schwester Angel ihr manchmal folgte, um sicherzugehen, dass sie nicht über die lose Ecke des Teppichs im Flur stolperte oder womöglich mitten in einem Traum über ihr eigenes Ableben erwachte und vor lauter Schreck tot umfiel. Mrs. Flood hatte einmal von jemandem gehört, dem genau das passiert war. Laut Angel überprüfte Dara auf ihren Rundgängen, ob die Haustür und die Tür zum Garten abgesperrt und die Fenster in allen Räumen geschlossen waren. Stand eines der Fenster offen, und sei es nur einen Spalt breit, wie das in den seltenen warmen Nächten gelegentlich der Fall war, dann schloss sie es, ehe sie zum nächsten weiterging. Sie wachte nie auf.
    Dara hatte gerade das Bein gehoben, um über die zweite Stufe von oben hinwegzusteigen, als das Telefon klingelte und sie aus dem Schlaf riss. Sie erstarrte mitten in der Bewegung und zuckte so heftig zusammen, dass sie vermutlich Hals über Kopf die Treppe hinuntergestürzt wäre, hätte ihre Hand nicht zufällig das Geländer umklammert. Schließlich landete ihr Fuß schwer auf der zweiten Stufe
von oben, und das laute Knarren, gepaart mit dem hartnäckigen Klingeln des Telefons, reichte aus, um ihre Benommenheit zu vertreiben und sie in einen Zustand angemessener Wachheit zu versetzen. Sie machte auf dem Absatz kehrt und stürmte die Treppe hinunter.
    Mrs. Flood vernahm das Klingeln ebenfalls. Sie erwachte mit der Überraschung eines Menschen, der nicht bemerkt hatte, dass er eingeschlafen war, und stellte fest, dass sie die Fernbedienung noch in der Hand hielt und im Fernsehen eine Dauerwerbesendung lief. Sie schwang die noch immer schmerzenden Beine aus dem Bett. Samstags gab es für Haarmonie , ihren mobilen Friseurservice, immer am meisten zu tun. Sie ignorierte die Schmerzen und spurtete los.
    Doch es war Angel, die als Erste beim Telefon war. Sie war in der Küche gewesen, als Dara vorbeigegangen war, mit ausgestreckten Armen, wie man das von Schlafwandlern in den Zeichentrickfilmen kennt. Angel hatte gelächelt und darauf geachtet, keine Geräusche zu machen, um Dara nicht zu wecken. Sie glaubte nicht an Mrs. Floods These, dass Schlafwandler sterben konnten, wenn sie
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