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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe
Autoren: Ciara Geraghty
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Stanley wusste, er sollte dankbar dafür sein. Der Transporter war ideal für seine Arbeit, aber die für das Polizeifunkgerät vorgesehene Aussparung im Armaturenbrett schien ihn ständig höhnisch anzugrinsen, da konnte Stanley noch so viel Kram in das leere Fach stopfen. Auf dem Beifahrersitz thronte – angeschnallt  – ein riesiger Hund, der den Kopf aus dem Fenster streckte. »Das ist ein Lurcher«, hatte Sissy gesagt. Sissy war Stanleys beste Freundin aus Kindertagen, seine Mitbewohnerin und ein wandelndes Lexikon. »Das ist keine Rasse; so bezeichnet man diese Sorte Hund.« Sie achtete stets auf einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu dem Vierbeiner, der auf den Namen Chief Inspector Jacques Clouseau hörte. Stanley hatte ihn von June Robinson, einer verhutzelten alten Lady geerbt, die ein riesiger Peter-Sellers-Fan gewesen war.
    Sissy und Stanley wurden gemeinhin für ein Paar gehalten,
dabei waren sie nur sehr gute Freunde, die zufällig zusammenwohnten. Zugegeben, Sissy hatte eines schönen Abends nach zu vielen selbstgebrauten Mojitos einen Annäherungsversuch gestartet, aber er hatte sich mit jener Sanftheit und Umsicht, die sie so an ihm schätzte, von ihr losgemacht. »Ich bin ein Versager, Sissy, das hast du doch selbst schon tausendmal gesagt«, erinnerte er sie.
    »Ich weiß.« Sie ließ den Kopf hängen, als wäre er zu schwer für ihren Hals. »Aber es wäre so praktisch, nicht?«
    Er schüttelte den Kopf. »Es würde nicht funktionieren.«
    »Warum nicht? Nenn mir drei gute Gründe«, forderte sie und streckte vier Finger in die Höhe.
    »Ich bin arm«, sagte er.
    »Aber nur, weil du dein ganzes Vermögen in deine Firma gesteckt hast und dich von deinen Klienten mit Bilderrahmen aus Sterlingsilber bezahlen lässt, statt mit Geld.«
    »Ich bin viel kleiner als du. Wir würden lächerlich aussehen.«
    »Aber du bist ein Adonis. Ein kleiner Adonis. Das sagen alle.«
    »Alle?«
    »Na ja, meine Schwester.«
    »Pfff. Für die ist sogar Gérard Depardieu ein Adonis.«
    »Auch wieder wahr.« Sissy lehnte sich mit einem brunnentiefen Seufzer zurück. Ihr Atem roch nach Minze. »Du hast recht. Es wäre ein Desaster.«
    »Na ja, ein Desaster vielleicht nicht gerade.«
    »Ich würde versuchen, dich zu ändern«, sagte Sissy.
    »Was denn genau?«
    »Alles.« Sie wedelte mit den Händen. »Ich bin ein Kontrollfreak par excellence. Es würde dich total fertig machen.«
     
    Den riesigen Esstisch in der Küche seiner Eltern gab es, solange Stanley denken konnte. Rechts und links davon stand je eine Holzbank, wie bei einem Picknicktisch. Die Brüder saßen dort, wo sie immer saßen, dem Alter nach nebeneinander aufgereiht auf der einen Bank; ihre besseren Hälften saßen ihnen gegenüber, ob es ihnen passte oder nicht. So gehörte sich das im Hause Flinter.
    Stanley aß das Filet Wellington, das seine Mutter ihm hinstellte (»Cormacs Leibspeise«, sagte sie und tätschelte ihrem Ältesten den Arm). Er lächelte und lauschte und nickte an den richtigen Stellen und beteiligte sich an einer hitzigen Debatte über das empörende Verhalten eines Schiedsrichters bei einem Spiel von Manchester United, und gutmütig, wie er war, stimmte er in das allgemeine Gelächter ein, als er später den selbstgemachten Banoffee Pie auf dem Tisch deponierte, den er auf den Wunsch seiner Mutter zur Feier des Tages mitgebracht hatte. Stanley liebte Kuchenbacken, im Gegensatz zu seinen Brüdern.
    »Warum sollten Männer nicht Kuchen backen?«, sagte seine Mutter oft, und dann benetzte sie ihre Fingerspitzen und fummelte an Stanleys Frisur herum, wie früher, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Schon damals hatte es nichts genützt. Seine Stirnfransen behielten hartnäckig ihre Habachtstellung bei, wie Soldaten bei einer Militärparade.
    Obwohl sie ihn eben noch deswegen aufgezogen hatten, machten sich seine fünf Brüder mit Heißhunger über ihr Stück Kuchen her. Cormac war der Älteste, dann kamen Declan, Lorcan, Neal und Adrian. Stanley war der Jüngste. »Das Nesthäkchen«, wie Adrian oft sagte. Lorcan zog den Ausdruck »Ein Kind der Liebe« vor, und dann legte er Stanley stets einen Arm um die Taille und simulierte durch
heftige Bewegungen der Hüfte den Geschlechtsakt. Lorcan bezeichnete sich selbst als unreif und sexsüchtig. Nicht dass er so viel Sex gehabt hätte. Er redete bloß ständig davon, und das, obwohl er vierunddreißig und Polizist war.
    Cormac erhob sich. »Ich habe euch etwas mitzuteilen.«
    »Noch
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