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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe
Autoren: Ciara Geraghty
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plötzlich erwachten, aber wozu das Schicksal herausfordern? Angel gehörte zu den Menschen, die spät ins Bett gehen und früh aufstehen. Wäre das Leben ein Spüllappen – und mal ehrlich, genau das ist es manchmal, ein uralter, stinkender Spüllappen – , dann war Angel entschlossen, ihn bis zum letzten Tropfen auszuwringen. Das Beste daraus zu machen. Jeden Tag. Heute war sie ins Theater und danach noch mit ihrem rundum fabelhaften Freund, dem Feuerwehrmann Joe, essen gegangen. Sie stellte gerade ihren Handywecker auf sieben Uhr früh, als das Telefon zu klingeln begann, worauf sie prompt ihr Handy fallen ließ und losrannte, ohne sich Hoffnungen oder auch nur Gedanken zu machen.
    »Hallo?« Es klang wie eine Frage. Mit angehaltenem Atem wartete sie ab, während Dara und ihre Mutter durch den kurzen Flur auf sie zuhasteten und mit knapper Not hinter ihr zum Stehen kamen.
    Schweigen. Angel umklammerte den Hörer und nickte. Dara versuchte, einen Blick von ihr aufzuschnappen, doch der schmale Streifen Mondlicht, der durch die Buntglasscheibe in der Haustür hereinfiel, erhellte den Flur nur dürftig, und Angel hatte die Augen zugekniffen. Dara sah zu ihrer Mutter, doch die konzentrierte sich ganz auf Angel. An ihren Lippen, die sich lautlos bewegten, erkannte Dara, dass sie ein Gebet sprach.
    Als Angel endlich etwas sagte, klang es atemlos, als wäre sie kilometerweit gelaufen. »Mach ich. Danke. Ich komme so schnell ich kann. Danke. Vielen Dank«, keuchte sie. Sie legte auf und drehte sich zu ihnen um. Sie warteten ab, obwohl sie bereits wussten, was sie sagen würde. Dara hörte, wie ihre Mutter die Luft anhielt.
    Angel sah sie an. Das perlweiße Mondlicht schimmerte auf ihrer blassen Haut und verlieh ihr ein geisterhaftes Aussehen. Dara schauderte.
    »Sie haben eine«, sagte Angel.
    »Gott sei Dank.« Mrs. Flood sank auf die unterste Stufe der Treppe und barg das Gesicht in den Händen. »Danke, lieber Gott, danke, danke.« Ihr fülliger Oberkörper wiegte sich vor und zurück, während sie abwesend die Worte wiederholte, als hätte sie völlig vergessen, dass ihre Töchter vor ihr standen. Angel ging vor ihr in die Knie und löste die Hände ihrer Mutter sanft von ihrem Gesicht.
    »Schon gut, Mam«, flüsterte sie. Mrs. Flood hob den Kopf, breitete die Arme aus und zog Angel an sich. Sie drückte sie an ihre weiche Brust und wiegte sie wie früher,
als Angel noch ein Baby gewesen war. Dara stand daneben und spürte, wie sich ein Gefühl in ihr breitmachte. Es drängte gegen die Enge ihres Brustkorbs, so heftig, dass sie fürchtete, er könnte jeden Augenblick zerspringen.
    Freude.
    Unbändige Freude.
    Es war fast ein Schock, wie körperlich sie sich äußerte. So intensiv, dass es beinahe schmerzte.
    »Wir sollten uns auf den Weg machen«, sagte sie.
    Mrs. Flood musterte ihre jüngere Tochter, als wüsste sie nicht, woher sie sich kannten. Als hätte sie Dara völlig vergessen. Sie ließ Angel los, erhob sich und sah an sich hinunter. »Ich bin schon angezogen«, stellte sie erfreut fest.
    »Ich hole meine Krankenhaustasche.« Angel lief nach oben, wobei sie immer zwei Stufen auf einmal nahm.
    Dara trug als Einzige einen Schlafanzug. Einen für Männer, weil die meist wärmer waren als die für die Frauen, und weil ihr die Farben eher zusagten. Sie zerrte ihren Dufflecoat aus der Garderobe unter der Treppe, stülpte sich eine Mütze über den Kopf und steckte die Hosenbeine ihres Schlafanzugs in ihre Doc Martens. »Ich bin so weit.«
    Dass Mrs. Flood ihren Aufzug nicht weiter kommentierte, deutete auf die Außergewöhnlichkeit des Augenblicks hin. Wenn man fünf Jahre lang auf ein bestimmtes Ereignis wartet, und dann tritt es plötzlich ein, verschwendet man seine Zeit nicht mit spitzen Bemerkungen über die mangelnde oder wie auch immer geartete Angemessenheit eines Outfits. Dafür ist man viel zu glücklich.
    Mrs. Flood rannte in die Küche, um ihre Brille zu holen. Angel hastete derweil die Treppe hinunter. Sie blieb neben Dara stehen und presste sich die Hände auf den Mund.
    »Sie haben angerufen«, flüsterte sie. Die Worte klangen
gedämpft hinter ihren Fingern. »Ich wusste, dass sie anrufen.«
    Dara nickte lächelnd, obwohl sie nichts dergleichen gewusst hatte. Sie musterte ihre große Schwester, die auf einer Haarsträhne herumkaute, wie so oft, wenn sie nervös oder aufgeregt war. Sie waren nur knappe zwölf Monate auseinander, und doch hätten sie verschiedener nicht sein können. Angel hieß
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