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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe
Autoren: Ciara Geraghty
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Pfützen in den tiefen Sorgenfalten auf ihrer Stirn. Sie benetzte die
Finger erneut mit Weihwasser und tippte ihren Töchtern damit auf die Stirn.
    Normalerweise dauerte die Fahrt von ihrem Haus in der Raheny Road zum Krankenhaus zehn Minuten. Dara schaffte es zu ihrer eigenen Überraschung in knapp acht. Mrs. Flood hielt die ganze Zeit über Angels Hand. Dara umklammerte das Lenkrad so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Es gab eine haarige Situation, als sie auf eine Ampel zusteuerte, die bereits auf Gelb geschaltet hatte.
    »Gib Gas!«, schrie Angel vom Rücksitz. Mrs. Flood schwieg und hielt sich mit einer Hand die Augen zu, die andere krallte sie in Angels Oberarm. Es kam Dara so vor, als hätte sie sogar selbst kurz die Augen zugekniffen, während sie, angetrieben von Angels Worten und dem Mut der Verzweiflung (in Anbetracht der Umstände) das Gaspedal durchdrückte und mit dem Gefühl, dass sie es schaffen konnte, über die Kreuzung raste. Sie lächelte beinahe, als das Auto samt seinen Insassen heil auf der anderen Seite angelangt war.
    Im Nachhinein konnte sich Dara nur vage an die Fahrt erinnern. Es kam ihr so vor, als hätte sie den Wagen vor dem Haupteingang der Klinik mit quietschenden Reifen zum Halten gebracht. Sie wusste noch, dass ein Mann im Morgenmantel mit seiner Sauerstoffflasche vor der Tür stand und rauchte und den Blick hob, als Angel und ihre Mutter hastig ausstiegen.
    Dafür erinnerte sie sich bis ins kleinste Detail an das, was danach geschah, sosehr sie später auch versuchte, es zu vergessen.
    Das typische Krankenhausambiente: Bullenhitze, grelles Neonlicht. Ideal für die Tomatenzucht, dachte sie nicht zum ersten Mal.
    Die Nachtschwestern, die dieselbe steife Tracht trugen wie ihre Kolleginnen tagsüber und trotzdem irgendwie anders wirkten. Aber sie hatten das gleiche bedächtige Lächeln, die gleiche sanfte Art. Ich könnte nie Krankenschwester sein, dachte Dara. Sie weinte, wann immer einer ihrer Schützlinge im städtischen Hundeasyl eingeschläfert werden musste. Viele Menschen konnten nicht nachvollziehen, warum sie der Tod eines ausgesetzten Haustiers oder eines räudigen Straßenköters derart mitnahm. »Daran müsstest du doch längst gewöhnt sein«, sagten sie aufgeräumt zu Dara, worauf sie nur schweigend nickte.
    Angel ließ die Untersuchungen und die Warterei dazwischen mit der üblichen Engelsgeduld über sich ergehen. Joe saß neben ihr, hielt ihre Hand und erntete sehnsuchtsvolle Blicke von den vorbeigehenden Frauen (und sogar von einigen Männern); Blicke, die von Wünschen zeugten, die einen nicht weit brachten. Joe wurde oft angeschmachtet, insbesondere, wenn er seine Feuerwehrkluft trug, wie Mrs. Flood es nannte.
    Dara sah Dr. Templeton als Erste, und sie wusste Bescheid, sobald sie ihn durch die Jalousie hindurch erspäht hatte. Es war sein Gang, der ihn verriet – ein schwerfälliges Einherschreiten, das nichts Gutes verhieß, im Gegensatz zum beschwingten Schritt eines Menschen, der erfreuliche Nachrichten überbringt. Dara musterte ihre wartende Familie. Erst Angel mit ihren großen, unglaublich blauen Augen, die so voller Hoffnung und Zuversicht waren; sie saß auf der Bettkante und ließ unbekümmert die Beine baumeln. Dann ihre Mutter, die in einem Ohrensessel thronte und strickte, mit der schicksalsergebenen Miene einer Frau, die das Warten hervorragend beherrschte. Viel besser als das Stricken jedenfalls. Sie strickte nur Schals und Mützen.
Zwei rechts, zwei links, mehr hatte sie nie gelernt. Aber sie tat es gern, weil es sie entspannte, wie sie sagte. Solange Dara und Angel zurückdenken konnten, hatte sie ihnen zu Weihnachten alljährlich einen bunten, mindestens zwei Meter langen Schal gestrickt.
    Einen lächerlichen Augenblick lang zog Dara in Erwägung, die Jalousie zu schließen und die Tür zu verbarrikadieren, um Dr. Templeton auszusperren.
    Aber natürlich tat sie nichts dergleichen. Sie blieb bewegungslos sitzen, und seinem schwerfälligen Gang zum Trotz stand Dr. Templeton im Nu im Zimmer, räusperte sich und öffnete den Mund, um seine Nachricht zu überbringen. Ihren Blicken wich er aus.
    Er sagte ziemlich viel, und es dauerte eine ganze Weile, dabei hatte er im Grunde genommen nur eines zu sagen: Dass die Niere nicht zu Angel passte. Oder umgekehrt. Wie auch immer er es formuliert hatte, er hörte auch danach nicht auf zu reden, lieferte dieselben langatmigen Erklärungen wie damals, als er Dara und ihrer Mutter mitgeteilt
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