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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe
Autoren: Ciara Geraghty
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hatte, dass sie keine geeigneten Spenderinnen waren. Schließlich unterbrach Mrs. Flood seinen Redefluss, indem sie aufstand. »Vielen Dank, Dr. Templeton«, sagte sie, wickelte sich den erst kürzlich angefangenen Schal um die Finger und steckte die Stricknadeln in ein riesiges Knäuel kratziger Wolle, bei dessen Anblick Daras Hals zu jucken begann.
    Angel erhob sich ebenfalls. Sie ließ Joes Hand los und ging zur Tür.
    Joe war sogleich wieder neben ihr. »Ich fahre mit dir nach Hause.« Doch als er die Hand hob, um sie zu berühren, wich Angel aus. Sie schüttelte schweigend den Kopf und verließ den Raum, ohne jemanden anzusehen. Joe
blickte ratlos zu Mrs. Flood und Dara, aber sie hatten keine Antworten für ihn parat. Heute nicht.
    Der Nachhauseweg fühlte sich bedeutend länger an als der Hinweg. Dara redete wie ein Wasserfall, über alles, was ihr in den Sinn kam, dabei hatte ihr Fahrlehrer ihr ein striktes Sprechverbot auferlegt, solange sie am Steuer saß. Sie hatte nämlich die Angewohnheit, ihren Gesprächspartnern ins Gesicht zu schauen statt auf die Straße, in den Rückspiegel und auf den Tacho. Jetzt konzentrierte sie sich auf das Fahren und das Reden zugleich. Sie redete sich den Mund fusselig.
    Als ihr partout nichts mehr einfallen wollte, übernahm dankenswerterweise Mrs. Flood und erzählte in epischer Breite von der armen Mrs. Butcher, die, soweit Dara das beurteilen konnte, alles andere als arm war, denn sie lebte mit einem Ehemann, drei Kindern, zwei Hunden und einem Meerschweinchen in einem hübschen Häuschen. Wahrscheinlich rührte der Titel von Mrs. Butchers zur Krause neigendem Haar her.
    Auf der Höhe der Tonlegee Road ging auch Mrs. Flood allmählich der Gesprächsstoff aus, und erst da hörten sie es. Angel weinte. Ganz leise und verhalten, kaum hörbar, was es nur noch schlimmer machte. Das und die Tatsache, dass Angel sonst nie weinte. Niemals. Schon als Baby hatte sie nie geweint, behauptete jedenfalls Mrs. Flood. Sie hatte nicht geweint, als sich herausstellte, dass sie nur eine Niere hatte, und auch nicht, als man ihr eröffnet hatte, dass sie an chronischem Nierenversagen litt. Und auch nicht, als sie mit der Dialyse anfangen musste, weil weder Dara noch ihre Mutter als Spenderinnen fungieren konnten. Sie hatten die falsche Blutgruppe – eine ganz gewöhnliche, im Gegensatz zu Angel, deren Blutgruppe frustrierend selten war.
    Angel strotzte vor Zuversicht. Sie glaubte an Schutzengel, an Schicksal und Vorsehung, daran, dass nichts ohne Grund geschah. Angel war Optimistin. Für sie war das Glas stets halb voll.
    Doch das schien nun vorbei zu sein. Sie weinte wie jemand, dessen Glas nicht nur halb leer ist, sondern einfach leer.
    Mrs. Flood legte ihr den Arm um die Schulter. »Nicht doch, Liebes. Nicht weinen. Alles wird gut.« In ihrer Stimme schwangen Schmerz und Liebe gleichermaßen mit. Für Dara hörte es sich an, als spräche ihre Mutter mit zwei Stimmen. Sie drehte den Rückspiegel so, dass sie Angel nicht mehr sehen konnte, dann umklammerte sie mit beiden Händen das Lenkrad und konzentrierte sich auf das Fahren.
    Doch Angel weinte den ganzen Weg nach Hause, und weder Mrs. Floods Worte noch Daras Konzentration auf die Straße konnten etwas daran ändern.



2
    Angel war nicht immer krank gewesen. Wenn Dara darüber nachdachte – und das tat sie oft – dann war nicht Angel, sondern sie selbst es gewesen, die früher ständig unter irgendwelchen Kinderkrankheiten, Erkältungen, Infektionen und Wehwehchen gelitten hatte.
    Mrs. Flood hatte das darauf zurückgeführt, dass ihre erste Tochter mit einer sogenannten Glückshaube zur Welt gekommen war, sprich, sie war bei der Geburt in die noch intakte Fruchtblase gehüllt gewesen. Sie erinnerte sich lebhaft, wie sie Angel das erste Mal sah, zwischen ihren Beinen liegend, in die Membran gehüllt. Sie erinnerte sich an den vertrauensvollen Blick in Angels blauen Augen, so voller Hoffnung und Zuversicht. Die Hebamme sagte, es bestehe kein Grund zur Besorgnis, ehe sie Angel von ihrer Glückshaube befreite, dabei machte sich Mrs. Flood gar keine Sorgen. Sie verspürte – vielleicht zum ersten und letzten Mal in ihrem Leben – einen fast perfekten inneren Frieden. Sie hatte das Gefühl, dass nichts schiefgehen konnte. Dass alles genau so war, wie es sein sollte. Die Geräusche des Kreißsaals verebbten, während sie und ihr Baby einander betrachteten, als würden sie ein wunderbares Geheimnis teilen, das nur sie beide kannten. In
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