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Wenn ich dich gefunden habe

Wenn ich dich gefunden habe

Titel: Wenn ich dich gefunden habe
Autoren: Ciara Geraghty
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diesem kurzen Augenblick hatte Mrs. Flood das Gefühl, dass alles möglich war. Und sie behauptet hartnäckig, Angel habe nicht geweint, weder als sie von ihrer Glückshaube befreit
wurde, noch als man die Nabelschnur durchtrennte wie einen Strang Würste.
    Später sagte man Mrs. Flood, eine Glückshaube sei ein gutes Omen. Weniger als eines von tausend Babys käme damit zur Welt. Mrs. Flood zweifelte nie daran, dass es ein Glückssymbol war.
    Die Geschichte von Daras Geburt war nicht halb so schön.
    Sie war per Kaiserschnitt zur Welt gekommen, nach sechsundzwanzig Stunden Wehen mit furchteinflößenden Geräten wie Saugglocken und Zangen, Neonlicht und grünen Chirurgenmänteln, und nach einem einzigen klagenden Schrei von Mrs. Flood, zum Ende hin – ein Schrei nach einem Ehemann, der sich dreizehn Tage zuvor von ihr verabschiedet hatte, um Zigaretten kaufen zu gehen und nicht zurückgekehrt war.
    Klein Dara verbrachte die erste Zeit nach der Geburt im Brutkasten. Sie war untergewichtig und schreckhaft und hatte Gelbsucht. Sie wollte nicht trinken und wand sich in Mrs. Floods Armen, als hätte sie Angst, fallengelassen zu werden. Erst nach einer Woche sah Mrs. Flood, dass Daras Augen dunkelblau waren, genau wie die ihres Vaters. Eine Woche lang hatte Dara fest die Augen zugekniffen und geweint und das war alles, was sie in dieser ersten Woche zwischen ihren kurzen, unruhigen Schlafphasen tat. Als sie dann das erste Mal ihre wachsamen blauen Augen aufschlug, um das Gewicht der Welt in sich aufzunehmen, schwor sich Mrs. Flood in Anbetracht der frappanten Ähnlichkeit mit ihrem kürzlich verschwundenen Ehemann, weder über diese Ähnlichkeit noch über den Ehemann je wieder nachzudenken. Ein Versprechen, das sie nicht halten konnte.
    Bei der Vorsorgeuntersuchung sechs Wochen später gab sie zu, dass in der Beziehung zwischen ihrem Baby und ihr eine gewisse … Reserviertheit herrschte, eine emotionale Distanz, die Mrs. Flood nicht überbrücken konnte. Die Krankenschwester nahm die weinende Dara aus der Babytragetasche, und kaum lag Dara in ihrer Armbeuge, da hörte sie auf zu weinen und schlief ein.
    »Das macht sie bei mir nie«, sagte Mrs. Flood.
    »Das kommt noch. Sie müssen bloß etwas mehr Zeit mit ihr verbringen.«
    »Ich verbringe doch schon Tag und Nacht mit ihr«, erwiderte Mrs. Flood entnervt.
    »Ich meinte, Sie sollten sie vielleicht etwas öfter herumtragen, oder einfach dasitzen und sie im Arm halten. Manche Kinder sind ängstlicher und brauchen mehr Aufmerksamkeit als andere.«
    »Ich kann mich nicht noch intensiver mit ihr beschäftige; ich muss mich doch auch um Angel kümmern.« Sie deutete mit dem Kopf auf Angel, die mucksmäuschenstill auf dem Boden saß und in einem Bilderbuch blätterte. Die beiden Frauen lächelten, ohne es zu bemerken, wie das alle Menschen bei Angels Anblick taten. Mrs. Flood seufzte und betrachtete Dara. »Das mag etwas seltsam klingen, aber …«
    »Ja?«, sagte die Krankenschwester, und ihr Tonfall deutete darauf hin, dass sie nichts mehr überraschen konnte.
    »Ich glaube, sie mag mich nicht. Dara, meine ich.«
    »Natürlich mag sie Sie. Sie sind ihre Mutter. Sie müssen sich eben erst aneinander gewöhnen.«
    »Nein«, widersprach Mrs. Flood, »daran liegt es nicht. Es muss noch andere Gründe geben.«
    »Wie, andere Gründe?«
    »Bei Angel hatte ich dieses Gefühl nie.«
    Die Schwester griff zum Telefon.
    Der Arzt sprach zunächst von postnataler Depression und meinte, das sei normal. Er riet Mrs. Flood abzuwarten, war überzeugt, es würde bald besser werden. Als sich seine Prophezeiung nicht bewahrheitete, verschrieb er ihr Antidepressiva.
    »Wie lange soll ich die nehmen?«, fragte sie ihn.
    »So lange, wie es nötig ist«, antwortete der Arzt mit der fröhlichen Art eines Menschen, der sicher ist, dass ihn seine Kinder mögen.
    Siebenundzwanzig Jahre später nahm Mrs. Flood noch immer Antidepressiva.



3
    Auf den ersten Blick war in ihrem Haus in der Raheny Road alles wie immer. Auf den zweiten war alles anders.
    Angel war anders.
    Für Dara fühlte es sich fast so an, als wäre Angel schon nicht mehr da. Eine Fremde war an ihre Stelle getreten. Eine schweigsame Fremde, die nichts aß und sich in ihrem Zimmer verkroch. Durch die verschlossene Tür konnte Dara gedämpftes Schluchzen hören.
    »Aber es ist doch alles wie vorher«, sagte Dara durch die Tür. »Wir warten weiter auf den Anruf. Genau wie davor.«
    Keine Antwort.
    Dara stellte Angel ihr
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