Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird
Autoren: Manuela Martini
Vom Netzwerk:
seine Koteletten. »Qui sait?« Er schlägt mit der flachen Hand, die zum Fenster heraushängt, außen an die Tür. »Vous faîtes attention, n’est-ce pas?«
    Er hebt die Hand zum Gruß und fährt davon. Tammy sieht ihm nach, bis er hinter der nächsten Biegung verschwunden ist. »Sieht aus wie Satan persönlich«, sagt sie. Julian runzelt die Stirn. »Wenn ich diese Typen bei uns erwische, dann …«
    »Was dann?«, fragt Tammy erwartungsvoll.
    Julian kneift die Augen zusammen und schiebt das Kinn vor. Manchmal wundert sie sich, wie schnell ihr Bruder wütend werden kann. Doch jetzt seufzt er und zuckt die Schultern. »Dann wird mir schon was einfallen.« Er steigt wieder aufs Rad. »Los, ich hab Hunger!«
    Tammy ist die Lust am Schnellfahren vergangen. Wenn das Auto ein bisschen schärfer um die Ecke gekommen wäre … für einen Moment blitzt das Bild vor ihr auf: Ein zerbeultes Rad auf der Straße, ein Auto, dessen Fahrer fassungslos auf den Boden starrt, wo mit verdrehten Gliedmaßen ein blutiger Körper liegt, ein Windstoß fährt ins blonde Haar, hebt es für Sekunden vom schmutzigen Asphalt.
    Sie schiebt das Bild weg. Sie ist viel zu jung, um an den Tod zu denken. Schließlich will sie noch einiges aus ihrem Leben machen. Sie schwingt sich auf den Sattel und denkt an ihre Modelkarriere in L. A. Sie kann ihr Ziel erreichen, wenn sie es nur will. Und das will sie. Um jeden Preis – um jeden Preis? Zumindest fällt ihr im Moment nichts ein, das ihr mehr bedeuten würde. Wieder gut gelaunt fährt sie die gewundene Straße bergab.
    Ein roter Peugeot überholt sie und hupt. »Blödmann!«, ruft sie hinter ihm her, doch der Wagen ist viel zu schnell und der Fahrer hat sie bestimmt nicht mal gehört, geschweige denn, dass er sie verstanden hätte. Ihr Blick wandert nach rechts hinunter zum Meer, das jetzt in der Abendsonne unwirklich tiefblau leuchtet. Vier weiße Segelboote und in der Ferne zwei größere Schiffe, die sich in dieser Weite überhaupt nicht zu bewegen scheinen. So fühlt sie sich auch oft, wie diese Boote. Als hinge ein schwerer, eiserner Anker an ihr, der sie hindert loszusegeln. Das Austauschjahr in Kalifornien hat ihr gezeigt, wie cool Leben sein kann. In zwei Jahren hat sie endlich die Schule hinter sich. Sie kann es kaum abwarten, dass ihr Leben endlich anfängt.
    Am Abend bringt Julian Tammy ein Bier und setzt sich neben sie auf die Mauer. Sie sind nach dem Radfahren noch mal schwimmen gewesen und jetzt hat er ein frisches Hemd und lässige Shorts angezogen. Tammy trägt ein weißes Top und einen Rock, in dem ihre langen, braun gebrannten Beine bestens zur Geltung kommen.
    Es ist noch immer sehr warm und der Wind, der sonst abends um diese Zeit aufkommt, bleibt bisher aus. Julian nimmt einen Schluck Bier.
    Von hier aus kann man hinunter in die tiefer gelegenen Gärten und Grundstücke sehen, alle üppig bewachsen mit blühenden Sträuchern und grünen Pinien. An dieser einen Stelle blitzt zwischen zwei ausladenden Pinienkronen ein Stück Strand hervor und man kann sogar – wenn man die Augen ein wenig zusammenkneift – die einzelnen Wellen mit ihren weißen Spitzen daran lecken sehen.
    Julian legt den Kopf in den Nacken und atmet tief ein. Es ist seltsam, einerseits spürt er in sich diesen Drang, etwas zu tun, irgendetwas zu unternehmen, die Zeit nicht einfach so verstreichen zu lassen, und andererseits ist da etwas in ihm, das ihn unfähig dazu macht, das darauf wartet, dass etwas geschieht und ihn mitreißen würde – irgendwohin –, wenn nur etwas passieren würde.
    Reflexartig, instinktiv, einem Gefühl gehorchend streckt Julian den Arm nach seiner Schwester aus, die genau wie er auf der Mauer sitzt und in den glühenden Himmel sieht, und dann kann er nicht anders, als die nasse Strähne, die ihr über die Schulter nach vorn fällt, nach hinten zu legen. Ein warmes Gefühl durchströmt ihn dabei, und erst als sie ihn ansieht, wird ihm bewusst, dass er das vielleicht nicht tun sollte, er lacht und sagt rasch: »Die Sonne bleicht die Haare ganz schön!«
    Tammy sagt nichts, nimmt einen weiteren Schluck aus der Flasche.
    »Bin mal gespannt, wie Mel so ist«, redet er schnell weiter.
    Als sie wieder nichts sagt, stößt er sie mit dem Ellbogen ein wenig an. »Was meinst du, sollen wir eine Wette abschließen?«
    »Eine Wette?«
    »Ja, zum Beispiel, ob sie es eine Woche mit uns aushalten oder ob sie hier miteinander Schluss machen oder …«
    Über Tammys Gesicht zieht sich endlich ihr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher