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Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird
Autoren: Manuela Martini
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typisches, freches Grinsen. Na also, denkt er und fühlt sich gleich besser.
    »Du bist echt fies«, sagt sie und schlägt in seine ausgestreckte Hand ein. »Schluss machen.«
    »Okay«, er nickt. »Dann sage ich, sie machen nicht Schluss. Um eine neue Sonnenbrille. Von … Police.«
    »Prollig«, bemerkt sie und verzieht das Gesicht. Na also. Er weiß einfach, wie er sie amüsieren kann. Sie betrachten die Sonne, die jetzt wie eine schmelzende Goldmünze langsam ins Meer tropft.
    »Ich will eine Sportuhr«, sagt Tammy nach einer Weile, »wenn ich gewinne.«
    Sie stoßen mit den Bierflaschen an. Er nickt und sagt:
    »Wenn sie sich trennen, kriegst du eine Uhr.«
    Sie sitzen da, Schulter an Schulter, bis die Sonne ganz im Meer versunken ist und der Himmel nur noch ihr Glühen zurückwirft. Das warme Gefühl in ihm wird intensiver; es ist, als wären alle seine Zellen mit elektrischem Strom geladen, und sobald er sie noch ein wenig mehr berührt, ihren Arm, ihren Rücken, wenn er seine Hand in ihren Nacken schieben würde, auf ihre zarte, warme und vermutlich ein wenig feuchte Haut, dann … dann.
    »Spaghetti!«, sagt er hastig und rutscht von der Mauer.
    »Spaghetti«, wiederholt sie und lächelt zufrieden. Ihr Lächeln ist wie sein Lächeln, das weiß er, denn ihr Gesicht ist sein Spiegel – so wie sein Gesicht ihres spiegelt.
    »Geht klar«, sagt er und, erlöst, erleichtert – und doch irgendwie enttäuscht darüber, dass der Moment vorbei ist –, geht er über die Terrasse ins Wohnzimmer und von da in die Küche. Mit den harten Steinfliesen unter seinen nackten Füßen scheint es, als ob er sich wieder auf festem Boden befindet, aber er wird das Gefühl nicht los, er schwebe. Seine Knie sind weich und sein Herz schlägt viel zu schnell.
    Er nimmt den großen Wassertopf vom Haken, füllt Wasser ein und zündet mit einem Streichholz den altmodischen Gasherd an. Die blaue Flamme faucht, bis sie gleichmäßig brennt. Er schiebt den Topf darauf. Er kocht gern für sie beide.
    Und plötzlich stört es ihn, dass Claas und ich morgen kommen.
    Wir, die Fremden, würden in seine und Tammys Welt eindringen und sie entzaubern.
    Tammy will beim Essen lesen, sie nimmt ihren Teller mit Spaghetti und dem geriebenen Parmesan – den hat sie sich heute mal erlaubt – mit zur Couch, zieht die Beine unter und versenkt sich in ihr Buch. Unschlüssig, was er jetzt tun soll, sieht Julian mit dem Teller in der Hand zu ihr hinüber. Wenn sie liest, ist sie vollkommen absorbiert, er ist sicher, sie hat ihn völlig vergessen. Er kommt sich fast schon überflüssig vor.
    »Ich hab überhaupt keine Lust«, murrt er.
    »Wer hat schon Lust auf Lernen?«, gibt sie zurück, ohne von ihrem Teller aufzusehen, von dem sie gerade Spaghetti auf ihre Gabel dreht.
    Er seufzt. Sie hat recht. Aber er muss unbedingt von einer Fünf auf eine Drei in Französisch kommen. Sonst kann er das Abi gleich vergessen. Die letzten Tage hatte er das erfolgreich verdrängt.
    Er setzt sich an den langen Küchentisch vor das Grammatikbuch, das seit gestern dort unberührt liegt.
    »Und schmatz nicht so!«, sagt sie tadelnd und grinst, ohne von ihrem Buch aufzusehen.
    Da muss er auch grinsen. Sie hat ihn doch nicht völlig ausgeblendet.
    Zwei Stunden später hat er genug von Französisch, er kann sich nicht mehr konzentrieren und weiß, dass er sich diese Stunden auch hätte sparen können. Tammy sitzt immer noch mit dem Rücken zu ihm auf dem Sofa und er hört nur das Rascheln, wenn sie eine Seite umblättert. Einmal ist sie aufgestanden, um sich noch etwas aus dem Kühlschrank zu holen, hat kurz aufgeschaut, aber nur durch ihn hindurchgesehen.
    Ist wahrscheinlich doch ganz gut, dass Mel und Claas morgen kommen, denkt er, da hat er wieder eine Ausrede, nicht Französisch lernen zu müssen.
    Er steht auf, räumt den Teller in die Spülmaschine, verabschiedet sich mit einem »Gute Nacht«, geht in sein Zimmer, legt sich ins Bett und hört Musik.
    Immer wieder dämmert er langsam weg, mit Bildern im Kopf, die ihn nicht loslassen, und wacht wieder auf.
    Es liegt nicht am Mond, sagt sich Julian, dass ich nicht schlafen kann. Ist ja noch nicht mal Vollmond.
    Er starrt auf die halbe, blass leuchtende Scheibe über den Zypressen, schlägt die Decke zurück und steht auf. Er ist aufgewühlt, fühlt sich, als würde der Blutstrom in seinen Adern ständig die Richtung wechseln. Ein leichter Windhauch streicht über seine nackte Haut und trocknet den dünnen Schweißfilm. Sie
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