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Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird
Autoren: Manuela Martini
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in seinem Kapuzenmantel. Mit erhobenem Schwert kam er auf mich zu, näherte sich Schritt für Schritt, ganz langsam, als wüsste er, dass ich nicht wegrennen kann. Und ich, ich starrte ihn an und begann zu zittern und zu flehen, er möge mich verschonen, ich habe es nicht tun wollen, es sei passiert, es sei einfach passiert – bitte, bitte nicht –, und als er das Schwert noch höher hob, schrie ich, aber da ließ er es schon auf mich niedergehen.
    Julian schreckte hoch. Tammy machte wieder Licht. Und ich zitterte am ganzen Körper und suchte nach Claas, wollte nicht wahrhaben, dass er wirklich nicht mehr da war.
    Ich fing an zu heulen, zu schluchzen, zu zittern.
    Tammy verlor auch die Nerven, fing an zu schreien und zu heulen, bis Julian uns beide anbrüllte, was uns so erschreckte, dass wir tatsächlich aufhörten.
    Schließlich krochen Tammy und ich zu Julian, wir drückten uns an ihn und er hielt uns fest – oder hielt sich wahrscheinlich auch an uns fest. Eine Weile tat das gut, sich nicht so allein zu fühlen, den Herzschlag, die Körperwärme der anderen zu spüren, ich schloss sogar mal die Augen. Aber immer heftiger drangen aus meinem Innern die immer selben Worte an die Oberfläche, bis ich sie nicht mehr zurückhalten konnte: »Wir sind Mörder«, schrie ich, »wir sind Mörder!«
    Tammy stürzte sich auf mich wie ein wildes Tier, warf mich zu Boden, sie war viel stärker als ich, sie schüttelte mich und schrie immer wieder: »Halt die Klappe! Halt die Klappe, sag das nie wieder!«
    Doch ich brüllte weiter: »Wir sind Mörder! Wir sind Mörder!«, bis Julian uns voneinander losriss.
    Danach versank ich in eine Art Dämmerzustand. Irgendwann in der Nacht sehnte ich den Tag und das Ende der Dunkelheit herbei, als könnte ein neuer Sonnenaufgang auch ein neues Leben schenken.
    Um halb acht, es war noch nicht mal richtig hell, stand die Polizei mit Claas’ Eltern vor der Haustür. Sie waren die Nacht über durchgefahren und sahen furchtbar aus. Genauso wie wir.
    Irgendwie hatte ich die Version, die wir der Polizei erzählt hatten, so verinnerlicht, dass ich auf einmal selbst an unsere erfundene Wahrheit glaubte. Es war ein ganz normaler Unfall gewesen. Ehrlich schluchzend fiel ich der Mutter von Claas um den Hals – und wimmerte, dass es so schrecklich war, dass wir einfach zu viel getrunken hätten …
    Claas Mutter fing auch an zu weinen und hielt mich zuerst fest, aber dann schob sie mich von sich. Ich konnte es in ihrem Gesicht lesen: Warum bist du nicht gestorben oder du oder du?
    Claas’ Vater verhielt sich so, wie wohl auch mein Vater reagiert hätte. Er zeigte keine Gefühle, nickte uns zu und wollte dann den Pool sehen und ließ sich noch mal alles von uns berichten. Tammy entzog sich. Kauerte sich auf die Couch, während Julian und ich Claas’ Vater Rede und Antwort standen. Erstaunlich, wie überzeugend wir die Version rüberbrachten. Wir wollten sie auch zu unserer Wahrheit machen.
    Weitere Details erspare ich dir. Wir drei fuhren in Julians BMW nach Hause, während Claas’ Eltern noch Formalitäten erledigten.
    Meine Eltern, die wir genauso wie die Wagners von der Polizeistation aus angerufen hatten, nahmen mich zu Hause schweigend in die Arme – und machten mir dann erst Vorwürfe.
    Die Beerdigung war schrecklich.
    Sie fand in München auf dem Waldfriedhof statt und neben der Familie kamen noch Verwandte, Bekannte und Freunde von Claas’ Eltern und natürlich kam auch die halbe Oberstufe. Die Lehrer hatten schon dafür gesorgt, dass breitgetreten wurde, wie es passiert war: Alkohol und Haschisch! Da seht ihr, wohin das führt!
    Wie unsere Lehrer wohl reagiert hätten, wenn ich ihnen ins Wort gefallen wäre und geschrien hätte: »Wir haben ihn umgebracht! Nicht der Wodka! Und wir haben noch einen Mord begangen! Wir! Nicht der Absinth!«
    Tammy, Julian und ich haben einen Kranz gekauft und auf die Schleife schreiben lassen: Du hast die Grenzen hinter dir gelassen.
    Wir fanden es passend, war es doch an Henry Paige angelehnt und drückte aus, was er getan hatte – mit Patrick – und mit uns. Aber das wusste natürlich niemand der Anwesenden. Sie sahen darin wahrscheinlich nur einen tröstlichen Spruch.
    Wir kamen davon. Mit zwei Morden. Denn auch Claas’ Tod war letztlich nichts anderes.
    Keiner von uns musste ins Gefängnis.
    Wir waren frei, oder?
    Die Beerdigung ist jetzt vier Monate her.
    Ich hab gehofft, die Lüge würde die Wahrheit auslöschen. Aber ich hab mich geirrt.
    Ich
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