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Wenn Es Dunkel Wird

Wenn Es Dunkel Wird

Titel: Wenn Es Dunkel Wird
Autoren: Manuela Martini
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der Villa entlang der Küste wie ein Rücken erstreckt, in einem warmen Bronzeton. Die Schatten sind länger geworden, und als Julian über die Schulter zurücksieht, weiß er, dass Tammy, wie immer, wenn sie sich selbst anzutreiben versucht, gegen ihren eigenen Schatten anradelt. Dieser Trick spornt – jedenfalls solange sie die Sonne im Rücken hat – sie jedes Mal zu Höchstleistungen an. Sie tritt in die Pedale, bis die brennenden Schmerzen in ihren Oberschenkeln und Lungenflügeln selbst ihr zu viel werden. Noch ein paar Meter hält sie durch, überholt Julian, dann fährt sie an den Wegrand und lässt sich vom Sattel rutschen. Julian ist nur knapp hinter ihr.
    »Schon fertig?«, fragt er im Vorbeifahren.
    »Dreiundvierzig Minuten«, sagt sie und sieht von ihrer Uhr auf. Sport ist für sie nicht nur Mittel, um fit zu bleiben, sondern macht ihr tatsächlich Spaß. Sie liebt den Wettkampf, er macht sie besser, stärker, schneller – und schöner. Und unbesiegbar. Denn eines ist ihr ganz klar, ist ihr Prinzip, Lebensregel: Sie will Dinge allein und aus eigener Kraft durchziehen. Um nicht so zu werden wie ihre Mutter, die ständig an sich zweifelt und die Männer für sich springen lässt. Ach, das kann ich nicht! Oh, das ist viel zu schwer für mich! Langsam, wartet auf mich! Wie Tammy das zum Hals heraushängt! Damit drängt sich ihre Mutter immer in den Mittelpunkt. Und alle müssen auf sie Rücksicht nehmen. Wenn die Männer für sie, Tammy, etwas tun, dann bitte sehr, aber sie wird sich dafür nicht verbiegen. Sie braucht niemanden.
    Denn sie kann jeden haben. Das ist ja gerade das Schöne. Es lässt sie ihre Macht spüren.
    Und wenn ihre Fotos erst mal in den Magazinen sind, werden ihr Hunderttausende zu Füßen liegen.
    Julian ist ein Stück zurückgefahren und steht nun neben ihr. »Wer zuerst unten ist!«
    Tammy wuchtet ihr Rad herum, hievt sich wieder auf den Sattel und spurtet los. Noch ist Julian hinter ihr und sie versucht, den Vorsprung zu halten. Sie beugt sich über den Lenker, um den Luftwiderstand zu reduzieren, versucht, die Ideallinie zu fahren und Julian nicht an sich vorbeizulassen. Sie legt sich in die Kurve, rechts, links, sie findet ihren Rhythmus, rechts, links, und dann erfüllt sie endlich dieses Gefühl, das irgendwo unter dem Magen seinen Ursprung hat, das sie leichter und schöner und schneller macht, es wird stärker, breitet sich aus und lässt sie übermütig laut schreien. »Aaaaaaaaaaah!« In diesem Moment schießt etwas um die Kurve, ein Auto natürlich, sie hat ja die ganze Zeit damit gerechnet, aber nicht gerade jetzt!
    »Tammyyyyyyy!«, hört sie noch Julian rufen und gleichzeitig die schrille Hupe und das Quietschen der Autoreifen, im Reflex reißt sie den Lenker nach rechts – und ohne zu stürzen, rollt sie am Auto vorbei, das Schimpfen des Fahrers ist schon wieder weit weg. Dann erst hält sie an.
    »Mensch, das war ziemlich scheiße!« Julian kommt neben ihr zum Stehen.
    Jetzt erst merkt sie, dass ihre Knie zittern. Und sich ihre Hände an die Lenkstange krallen. Als sie den Griff lockert, zittern auch sie.
    »Achtung!«, schreit Julian und stößt sie zur Böschung. Was!, will sie gerade schreien, als ein Auto knapp neben ihr bremst. Polizei. »Hat dieser Wichser nichts Besseres zu tun als die Polizei zu rufen?«, sagt sie leise zu Julian. Da hat der Polizist auf der Beifahrerseite schon das Seitenfenster heruntergelassen. »Ah, vous êtes les fils de Madame Wagner.«
    Jetzt erkennt Tammy den Polizisten mit den Koteletten so lang, dünn und geschwungen wie Säbel. Er ist der Sohn des Bäckers im Ort, erinnert sie sich. Bei einem Dorffest im letzten Sommer hat ihre Mutter mit ihm gesprochen und sie und Julian vorgestellt.
    »Julian et …« Er zögert und sieht Tammy an.
    »Tammy«, hilft sie ihm. Es kommt automatisch. Vielleicht will sie einfach, dass er sie nicht länger so anstarrt, dieser südländische Macho.
    »Faîtes attention. Il y a une bande de cambrioleurs ici.«
    »Was ist hier?«, fragt Tammy ihren Bruder, obwohl der auch nicht besser Französisch kann als sie. Er zuckt die Schultern. Der Polizist begreift, dass sie ihn nicht verstanden haben, und legt die Finger so um die Augen, als blicke er durch ein Fernglas, und macht dann eine Drehbewegung mit dem Handgelenk.
    »Anscheinend Diebe!«, sagt Julian. »Sie beobachten das Haus.«
    Der Polizist nickt. »Comprenez?«
    »Dangereux?«
    Der Polizist hebt die Brauen, die genauso dünn und schwarz sind wie
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