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Weit weg ... nach Hause

Titel: Weit weg ... nach Hause
Autoren: dtv
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Glück!
    Der Hafenwart antwortet: »Hoffentlich steigt der Pegel nicht noch mehr. Es ist wieder Regen angesagt. Das macht uns unsere
     Arbeit auch nicht einfacher.«
    »Wenn’s weiter steigt, müssen wir unterwegs anlegen!«, hört sie den Kapitän sagen.
    »Wann wollen Sie ablegen?«, fragt der Hafenwart.
    »Am liebsten erst in einer Stunde. In der Kantine gibt’s heute Kasseler mit Sauerkraut. Das lass ich mir ungern entgehen.«
    Und während die beiden an Luisas Versteck vorbeigehen, sieht sie den Kapitän mit einem freundlichen Lachen auf dem Gesicht,
     während er über seinen opulenten Bauch streicht.
    »Na dann, gutes Frühstück!«, erwidert der Hafenwart.
    Beide lachen, geben sich zum Abschied die Hand.
    Luisa drückt sich dichter an das stinkende Ölfass. Eine Melodie summend, verschwindet der Kapitän Richtung Kantine und Kasseler
     mit Sauerkraut.
    Luisa atmet auf. Der Kapitän scheint nett zu sein, dennoch ist sie auf der Hut. Als niemand mehr zu sehen ist, huscht sie
     zügig zum Abstieg, der mit einem gelb-schwarz gestreiften Geländer gekennzeichnet ist. Schon ist sie von der Kai-Oberfläche
     verschwunden, befindet sich auf der ersten Treppe nach unten, erreicht die zweite. Alles muss ganz schnell gehen, das Gelände
     ist von allen Seiten einsehbar, man weiß nie, wo Augen lauern.
    Im gleichen Moment erstarrt sie: Auf dem Schiff bewegt sich etwas, ein dickes Seil wird weggezogen. Sie drückt sich an die
     Wand des Treppenabsatzes, wünscht sich, unsichtbar zu sein, hört auf zu atmen, als würde das irgendetwas nützen. Bisher lief
     alles gut, sie muss Ruhe bewahren. In weiter Ferne hört sie das schrille Klingeln eines Telefons. Dort, wo eben noch das Seil
     gezogen wurde, wird eine Person sichtbar: schlank, mittelgroß,eher ein Junge als ein erwachsener Mann. Das hätte sie sich auch denken können, dass der Kapitän nicht allein fährt. Der Junge
     wendet sich zur Wasserseite und läuft zum Heck des Schiffes, nur sein Kopf taucht ab und zu hinter den Kohlebergen auf. Er
     ist vielleicht 16   Jahre alt. Bestimmt der Sohn des Kapitäns.
    Luisa überlegt keine Sekunde: Blitzschnell steigt sie die zweite Treppe hinab, springt über den kleinen Wassergraben und steht
     am Bug des Frachtschiffes, während der Junge weit hinten am anderen Ende den Aufstieg zur Kommandobrücke erreicht.
    Sie weiß, dass sie möglichst schnell ein sicheres Versteck finden muss, sonst ist sie geliefert.
    Die Schiffe in Luisas Träumen sind stets ordentlich und völlig aufgeräumt. Die Realität sieht anders aus: Schon Hafen und
     Werft waren ein einziges Chaos, das Frachtschiff ist jetzt nicht anders. Was hier alles in der Gegend herumliegt.
    Luisa kann die Dinge zum Teil gar nicht zuordnen, hat keine Idee, wozu man das eine oder andere benötigt.
    Sie stakst durch das Chaos und achtet auf freie Zwischenräume, wie ein Storch im Salat oder wie Katja in Carlos Zimmer, da
     herrscht auch Dauerausnahmezustand.Carlo! Für den Bruchteil einer Sekunde denkt sie an ihre Familie.
    Überall liegen Seile von verschiedener Dicke und Länge; aufgerollt oder um Poller gebunden, halten sie das Schiff an der Mauer.
     Eine halbierte Tür, die aussieht, als sei sie in der Mitte durchgeschnitten, führt zu der hinteren, flachen Kajüte. Aus einer
     viereckigen Klappe ragen Schläuche und Rohre. Ganz vorne, auf einer merkwürdigen grauen Maschine, liegen vier lange, dunkelgrüne
     Gummistiefel. Man könnte meinen, zwei Männer dösen gemütlich Rücken an Rücken, um sich von einem anstrengenden Arbeitstag
     auszuruhen. An der Bugspitze des Schiffes, auf einem dünnen Eisenstab, steckt eine Handpuppe mit einem Kasperlekopf. Ihr Umhang
     flattert im Wind, das Gesicht zeigt in Fahrtrichtung. Ob das wohl ein altes Spielzeug des Jungen ist?
    Die tausend Kleinigkeiten faszinieren Luisa, aber gleich wird der Junge zurückkommen, um das Schiff weiter aufzuräumen, sie
     muss sich beeilen. Also rüttelt sie an der halben Tür. Verschlossen. Da entdeckt sie unter einer dicken Plastikmatte eine
     weitere Klappe. Sie schiebt die Matte zur Seite, legt den Eisenhebel um und, tatsächlich, die Luke lässt sich öffnen. Eine
     steile, extremschmale Stahltreppe führt in einen dunklen Raum, den Bauch des Schiffes.
    Luisa bückt sich, zögert: Sie sieht nichts im tiefschwarzen Dunkel. Grübeln nützt nichts, sie hat keine Wahl. Mutig steigt
     sie die Treppe hinab. Der Raum ist feucht und kalt. Zwei alte Holzkisten stehen in der Ecke, darauf stapeln sich
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