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Weit weg ... nach Hause

Titel: Weit weg ... nach Hause
Autoren: dtv
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dort schöner sein muss, friedlicher als auf
     der Erde, dass sie dort ihre Ruhe finden könnte, eine Seele wie alle anderen, die im blauem Himmel spielt und Freunde findet.
     Es war nur ein kurzer Gedanke, der wie ein Schnellzug durch ihren Kopf raste, um sich in der Ferne zu verlieren. Und das war
     gut so! Es blieb ihr damals schon ein Rätsel, wie man diesen Paradiesgarten schmerzfrei erreichen könnte. Vor allem aber,
     so viel war Luisa immer klar, aus dem Paradies gab es kein Zurück. Kein Zurück zu Thomas und Katja und Carlo, kein Zurück
     zu Skizzenblöcken, Farbtuben und Buntstiften, zu den Pferden in Großvaters Stall, zu Freya und ihren Cousins.
    Reise ohne Rückfahrschein.
    Tot sein ist langweilig, denkt Luisa. Was machen die denn bloß den ganzen Tag? Es erinnertesie an Sonntagsspaziergänge mit den Eltern. Nein, danke!
     
    Plötzlich beginnt Luisa wieder zu frieren. Nur ihr Kopf glüht wie ein Scheinwerfer, sie kann ihre Hände an den Wangen wärmen.
     Komische Hitze! Und sie fühlt sich schrecklich müde. Sie will versuchen zu schlafen, damit die Zeit schneller vergeht. Vorsichtig
     steigt sie von der Kiste, legt die Seile auf den Boden, benutzt ihren Rucksack als Kopfkissen. Die Kiste ist hart, aber das
     Summen der Motoren und das Rauschen des Wassers schläfern sie schnell ein.
    Nach einer Weile ertönt ein markerschütternder Knall, die Eisenluke fliegt auf, ein Lichtstrahl teilt das Dunkel. Mit sattem
     Klatsch fällt ein gerolltes Seil direkt vor die Kiste, gefolgt von einer Handvoll feuchter Lappen, die auf Luisas Gesicht
     landen. Sie schreit kurz und schrill auf, schlägt vor Schreck beide Hände vor den Mund und hält versteinert die Luft an. Im
     quadratischen Lukenausgang erscheint das Gesicht des mindestens genauso erschrockenen Jungen, seine Augen vor Erstaunen so
     weit aufgerissen, dass sie groß wie Tennisbälle fast aus den Augenhöhlen springen. Luisa setzt sich mit hochgezogenen Knien
     undpanischem Blick auf. Die Hand noch auf den Lippen, schaut sie den Jungen an, und ohne nur ein einziges Wort zu sagen, bittet
     sie ihn, sie nicht zu verraten.
    Schon hört man die Stimme des Kapitäns, der zur Eile antreibt.
    Der Junge wendet den Kopf: »Moment noch, Papa, ich muss die Seile ordnen. Komme gleich!«
    Dann dreht er sich zu ihr: »Was machst du denn hier? Wie bist du hier hereingekommen?«
    Luisas Versteinerung löst sich, ihre Stimme zittert, als sie fleht: »Bitte, verrat mich nicht! Bitte! Ich muss in die Schweiz
     zu meiner Tante.«
    Der Junge beginnt, ein Seil aufzuwickeln, schaut das fremde Mädchen an: »In die Schweiz?«
    »Ich will nur hier unten bleiben. Ganz leise! Und wenn wir in der Schweiz sind, steige ich ganz schnell aus.«
    »Es wird kalt in der Nacht! Und die Reise dauert fünf Tage.«
    »Fünf Tage?« Luisa schluckt. »So lange? Das wusste ich nicht!« Darüber hat sie tatsächlich nicht nachgedacht.
    Kleinlaut sagt sie: »Kalt ist es jetzt auch schon!«
    »Wie heißt du?«, fragt der Junge.
    »Luisa! Und du?«
    »Freddy! So nennen mich meine Freunde!«
    Luisa wartet gespannt auf Freddys Antwort, der scheint nachzudenken, ob er ihr glauben soll.
    Endlich sagt er: »Ich werde meinem Vater erst mal nichts sagen. Später bring ich dir eine Decke. Jetzt muss ich aber wieder
     nach oben, damit er nichts merkt. Du musst ganz ruhig sein. Manchmal geht er über das Schiff und macht seine Kontrollgänge.«
    Luisa stammelt ein leises »Danke« und atmet erleichtert auf, dann schließt Freddy die Luke.
    Sie bleibt zurück im tiefen Schwarz, aber sie fühlt sich nicht mehr so einsam wie vorher. Und irgendwie ist es auch ein bisschen
     wärmer geworden in ihrem Versteck.
     
    »Blinder Passagier« – endlich weiß Luisa, woher der Begriff kommt, denn wie eine Blinde sitzt sie in diesem Schiffsrumpf,
     wo niemand sie entdecken soll, und kann die Hand vor Augen nicht sehen.
    Wenn es dunkel ist, kommen immer die schweren Gedanken. Sie warten förmlich darauf, sich auszubreiten, nisten sich ein in
     jede Zelle, machen Kopf und Körper zu Bleikugeln und lassen sich nicht mehr vertreiben. Manchmal – zu Hause – bleiben sie
     die ganze Nacht und rauben Luisa denSchlaf. Am nächsten Tag in der Schule kriegt sie nichts auf die Reihe. Einmal war sie so müde, dass sie sogar mit dem Kopf
     auf der Schulbank eingeschlafen ist. Das war oberpeinlich, alle haben gelacht, die Lehrerin allerdings weniger, sie wollte
     gleich mit den Eltern sprechen. Das machen sie ja gern, einige
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