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Blutrote Schwestern

Blutrote Schwestern

Titel: Blutrote Schwestern
Autoren: Jackson Pearce
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Prolog
    Ein Märchen, sieben Jahre zuvor
    F remde gehen niemals diese Straße entlang, dachten die beiden Schwestern, als der Mann auf sie zutrottete. Erst recht keine Fremden in Anzügen – für solche Menschen gab es einfach keinen Grund, hier draußen mitten im Nirgendwo zu sein. Aber jetzt war einer von ihnen hier, Staub wirbelte bei jedem Schritt um seine Füße auf und sammelte sich in den Aufschlägen seiner Hose mit den starren Bügelfalten. Die ältere Schwester hob eine Augenbraue und näherte sich dem weißen Gartenzaun, während die jüngere weiter an ihrem bereits halb in der Nachmittagssonne geschmolzenen Flutschfinger lutschte.
    Der Mann nickte grüßend, als er schließlich vor ihnen anhielt. »Hallo, ihr Kleinen«, sagte er. Seine Stimme war aalglatt. Das Sonnenlicht schimmerte auf seinem blonden Haar und warf dünne, strähnige Schatten über sein Gesicht, in dem sich die ersten Falten zeigten.
    »Ich bin elf«, antwortete die ältere Schwester und reckte trotzig das Kinn in die Höhe.
    »Mein Fehler! Junge Damen«, korrigierte sich der Mann mit einem Lächeln.
    Anstelle einer Antwort wandte sich die ältere Schwester ab und tat, als beachte sie ihn nicht. Ihr Sommerkleid umbauschte ihre schmale Gestalt wie ein roter Pilz. Als der Mann zu ihr hinsah, verblasste sein Lächeln. Seine Augen wurden dunkler, sein Lächeln gezwungener, und er leckte sich die Lippen in einer Art, bei der es der älteren Schwester den Magen zusammenzog. Mitten in der Drehung verharrte sie, griff nach der klebrigen Hand der Jüngeren, riss ihr den Eisstiel aus der Hand und umklammerte ihn, als wäre er eine Waffe.
    »Ist deine Mutter zu Hause?«, fragte der Mann, auf seinem Gesicht nun wieder den freundlichen Ausdruck.
    »Unsere Mutter lebt nicht hier«, erklärte die jüngere Schwester und trat nach einer Pusteblume. »Du hast merkwürdige Augen«, fügte sie hinzu und blinzelte ins Sonnenlicht, während sie dem Fremden ins Gesicht blickte. Seine Iris schimmerte in dunklem Rotbraun, wie Herbstlaub.
    »Psst, Rosie!«, zischte die Ältere und wich zurück.
    »Ach, das ist in Ordnung«, sagte der Mann und kam näher. »Damit ich eure lieblichen Gesichter besser sehen kann, meine Täubchen. Ist denn dann euer Vater zu Hause? Oder euer Bruder?«
    Die ältere Schwester schüttelte den Kopf, wobei ihr die schwarzen Locken auf die Schultern fielen. »Aber unsere Großmutter ist da.«
    »Würdest du sie für mich herholen?«
    Die ältere Schwester zögerte, musterte ihn erneut. Schließlich nickte sie knapp und wandte sich dem Farmhaus hinter ihr zu.
    »Oma March! Hier ist ein Mann!«
    Keine Antwort.
    »Oma March!«, rief sie lauter.
    Die Tür schwang auf und schrammte in das Gerberabeet direkt vor dem Haus. Heraus kam Oma March, die geblümte Schürze voller Mehl von dem Kuchen, den sie gerade für die Geburtstagsfeier eines Jungen aus der Nachbarschaft buk. Geräusche vom Fernseher wehten auf den Hof, und die Titelmelodie von
Der Preis ist heiß
vermischte sich störend mit dem Gezwitscher der Spatzen in den nahen Bäumen.
    Die Großmutter der beiden war nicht leicht aus der Fassung zu bringen. »Scarlett, Liebes, was ist los?«, fragte sie ruhig.
    Scarlett zerrte Rosie zum Haus. »Da ist ein Mann – ein
Fremder
 – hier.« In ihrer Stimme schwang ein warnender Unterton mit, als sie, ihre Schwester im Schlepptau, an der Großmutter vorbei ins Haus schlüpfte.
    Rosie ließ sich vor den kleinen Fernseher in der Küche plumpsen, Scarlett dagegen lugte hinter Oma Marchs breitem Rücken hervor, den roten Eisstiel immer noch fest umklammert.
    »Oh«, sagte Oma March, sah den Fremden erstaunt an und nahm die Schürze ab, woraufhin Jeans zum Vorschein kamen.
    »Guten Tag, gnädige Frau. Ich bin hier als Repräsentant der Hanau Citrus Grove. Wir versuchen unser Geschäftsfeld durch den Verkauf von Zitrusfrüchten an der Haustür zu erweitern. Zahlung nach Erhalt der Ware in drei bis sechs Wochen. Dürfte ich Ihnen unseren Katalog zeigen?«
    »Zitrus? Sie meinen so etwas wie Orangen?«, fragte Oma March mit ihrem französischen Akzent. Sie winkte den Mann heran; woraufhin er die weiße Gartentür öffnete und auf sie zuschlenderte, die Hand ihr entgegengestreckt.
    »Ja, gnädige Frau. Orangen, Grapefruits, Mandarinen …«
    Als der Mann Oma Marchs Hand in die seine nahm, rutschte der Ärmel seines marineblauen Jacketts nach oben und enthüllte ein sonderbares schwarzes Mal auf seinem Handgelenk.
    Scarlett kniff die grünen
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