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Pacific Private - Winslow, D: Pacific Private

Pacific Private - Winslow, D: Pacific Private

Titel: Pacific Private - Winslow, D: Pacific Private
Autoren: Don Winslow
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02
    Die Mädchen sehen aus wie Gespenster.
    Sie treten aus dem frühmorgendlichen Nebel und stapfen über das feuchte Gras am Feldrand; silbrig heben sich ihre Gestalten von einer schmalen Baumreihe ab. Die Nässe dämpft ihre Schritte, deshalb nähern sie sich leise. Der Dunst, der ihre Beine umfängt, lässt sie aussehen, als würden sie schweben.
    Wie die Geister früh verstorbener Kinder.
    Sie sind zu acht und sie sind wirklich noch Kinder – das älteste ist vierzehn, das jüngste zehn. Ohne sich dessen bewusst zu sein, gehen sie im Gleichschritt, gehen den wartenden Männern entgegen.
    Die Männer beugen sich über den Nebel wie Riesen über Wolken, die von oben ihr Universum beäugen. Aber die Männer sind keine Riesen, sie sind Arbeiter; und ihr Universum ist das scheinbar endlose Erdbeerfeld, über das sie nicht herrschen, sondern das sie beherrscht. Sie sind froh über den kühlen Nebel – schon bald wird er verdunstet sein und sie der gleichgültigen Brutalität der Sonne überlassen.
    Die Männer sind Erntearbeiter, stundenlang über die Pflanzen beugen sie sich, ohne sich aufzurichten. Sie habendie gefährliche Odyssee von Mexiko bis hierher auf sich genommen, um auf diesen Feldern zu arbeiten und ihren Familien südlich der Grenze Geld schicken zu können.
    Sie leben im Verborgenen, in primitiven Lagern aus Wellblechhütten, notdürftig zusammengeflickten Zelten und Schuppen, tief in den Canyons, die sich seitlich der Felder erheben. Frauen gibt es in den Lagern keine und die Männer sind allein. Jetzt halten sie inne, um schuldbewusst einen Blick auf die fast schwerelosen Mädchen zu erheischen, die aus dem Nebel kommen. Es sind begehrliche Blicke, obwohl viele dieser Männer Töchter im selben Alter haben.
    Zwischen Feldrand und Flussufer wächst ein breiter Schilfstreifen, in den die Männer kleine Schlupflöcher geschlagen haben, fast schon Höhlen. Einige von ihnen gehen jetzt ins Schilf und beten, dass die Dämmerung nicht zu schnell kommen oder zu hell scheinen und ihre Schmach Gottes Blicken preisgeben möge.

03
    Auch im Crest Motel dämmert es.
    Der Sonnenaufgang ist ein Anblick, der nicht vielen seiner Bewohner vergönnt ist, es sei denn, sie stehen nicht auf, sondern gehen gerade erst ins Bett.
    Zwei junge Menschen sind jetzt wach, aber der Mann am Empfang, der mit dem Hintern auf dem Stuhl und den Füßen auf dem Tresen ein Schläfchen hält, ist keiner von den beiden. Egal. Selbst wenn er wach wäre, könnte er den kleinen Balkon von Zimmer 342 nicht sehen, über dessen Geländer die Frau fällt.
    Ihr Nachthemd flattert über ihr.
    Ein unzulänglicher Fallschirm.
    Sie verfehlt den Pool um keinen ganzen Meter, ihr Körper prallt mit einem dumpfen Schlag auf den Beton.
    Nicht laut genug, um jemanden zu wecken.
    Der Mann, der sie gestoßen hat, sieht nur so lange hinunter, bis er sicher ist, dass sie nicht mehr lebt. Er sieht, dass ihr Hals merkwürdig verdreht ist, wie der einer kaputten Puppe. Er betrachtet die Blutlache – fast schwarz im matten Licht –, die sich zum Pool hin ausbreitet.
    Wasser strebt dem Wasser zu.

04
    »Galaktisch krasse Freakwaves, klassischer Fall von hammerhart.« So umschreibt Hang Twelve die herannahende große Wellenfront gegenüber Boone Daniels, der sogar versteht, was Hang Twelve meint. Rechts von Boone, im Süden, klatschen die Wellen bereits gegen die Stützpfeiler des Crystal Pier. Der Ozean ist schwer, angeschwollen, verheißungsvoll.
    Die Surfer der Dawn Patrol – Boone, Hang Twelve, Dave the Love God, Johnny Banzai, High Tide und Sunny Day – sitzen auf ihren Brettern, reden und warten auf die nächsten Wellen. Alle tragen schwarze Neoprenanzüge, die sie von den Handgelenken bis zu den Fußknöcheln bedecken, denn das Wasser am frühen Morgen ist kalt, besonders jetzt, wo es vom nahenden Sturm aufgewühlt wird.
    Die Unterhaltung dreht sich an diesem Morgen um die große Wellenfront, eine Brandung, wie sie nur einmal alle zwanzig Jahre vorkommt, die jetzt wie ein außer Kontrolle geratener Güterzug auf die Küste von San Diego zuwalzt. In zwei Tagen soll es so weit sein, sie wird grauen Winterhimmel mitbringen, etwas Regen und die größten Wellen, die sie je gesehen haben.
    Wie Hang Twelve meinte, wird das ein »klassischer Fall von hammerhart«.
    Grob übersetzt ist das ein Ausdruck der Anerkennung.
    Auf alle Fälle gut wird es werden, das weiß Boone. Vielleicht würden sie sogar sieben Meter hohe Peaks zu sehenbekommen, zwei pro Minute.
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