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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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überschaubare Kleingruppen – und so mancher Teilnehmer mochte ahnen oder sich einbilden zu wissen, mit welcher Antwort er dem Herrn Viktor einen Gefallen tat;
    c) Informationsquellen, die mit Massenmedien vergleichbar wären, spielten im Laborexperiment keine Rolle – ein Punkt, der Frankenstein noch gleichgültig sein konnte, den ich aber erwähne, weil Epigonen – Plagiatoren! – darüber gestolpert sind … und recht geschah und geschieht ihnen!; schließlich …
    d) Adressat des Meinungsbildungsprozesses im Labor ist die Versuchsleitung, deren Absichten für die beteiligten Versuchspersonen nicht transparent sind.
    Dieser letzte Punkt mag Frankenstein, auch in Verbindungen mit den Ergebnissen unter Punkt b), nicht unwillkommen gewesen sein, man darf heute wohl unterstellen, daß ihm nichts unwillkommener gewesen wäre, als wenn dieser letzte Punkt ein anderes Ergebnis gezeitigt hätte!
    Und Frankenstein wäre nicht der Frankenstein, als der er der Nachwelt bekannt ist, wäre ihm nicht auch in dieser schier ausweglosen Situation eine Lösung eingefallen: Um die Realitätsferne der Laborsituation zu reduzieren, erfand er den sogenannten ›Kutschentest‹.«
    D’Ummél gab ein; »Kutschentest« flammte über seinem Haupte auf; »Kutschentest« notierten die Studenten.
    »Aus diesem ›Kutschentest‹ wurde später – natürlich wieder ohne Viktor Frankenstein zu nennen …« – D’Ummél brachte es zuwege, den Vorwurf ohne allzuviel Ekel in der Stimme zu äußern – »ein ›Eisenbahntest‹, die schon bekannte, ja sattsam bekannte Noelle-Neuman versuchte damit in ihren eigenen empirischen Untersuchungen ›die Realitätsferne der Laborsituation zu reduzieren‹ – wem schon in dieser Definition des Vorhabens eine gewisse Parallele zu den Erklärungen Frankensteins auffällt, der möge getrost die richtigen Schlüsse ziehen. Ich scheue mich nicht, es auszusprechen: von wissenschaftlichen und auch allgemein-moralischen Standpunkten aus ist solches Vorgehen nur mit einem Wort zu umschreiben, mit dem Wort: ›schamlos‹. Und ich scheue mich nicht, auch den folgenden Vorwurf auszusprechen: Diese Frau Noelle-Neuman hat in all ihren Werken den Namen Frankenstein nicht ein einziges Mal erwähnt!«
    Nur mühsam konnte sich Doktor Zweiten Grades Roman D’Ummél nach diesem Ausbruch wieder beruhigen, die Studierenden blickten voll Mitgefühl auf ihren geliebten Vortragenden – sie konnten ihm nicht helfen, konnten nur fassungslos das ruchlose Treiben in der Vergangenheit der Menschen beobachten, verabscheuen: Zeiten mußten das gewesen sein – nicht das erste Mal mochte ihnen mit Schaudern dieser Gedanke durch den Kopf gehen.
    »Zurück zum ›Kutschentest‹!« D’Ummél hatte sich gefangen. »Dabei wurden die Versuchspersonen gefragt, ob sie bereit wären, während einer längeren Kutschenfahrt ihren Standpunkt zu einer konkreten Frage in einem Gespräch anders denkenden Mitreisenden gegenüber zu vertreten.
    Dies näherte die unter a) angeführten Rahmenbedingungen zweifellos der Realität etwas an, Frankenstein mußte aber schmerzlich erkennen, daß die Diskrepanz zwischen Labor und Wirklichkeit, also sozialer Realität in den anderen Punkten, durchaus bestehen blieb.
    Auch die Kutschen-Situation war daher nur eine Näherung, wichtig für theoretische Erkenntnisse. Für die Praxis, wie Frankenstein sie anstrebte, aber keine brauchbare Simulation der Öffentlichkeit und der öffentlichen Meinungsbildung.
    In diesem Stadium seiner Untersuchung war Dr. Viktor Frankenstein abermals schwer versucht, das Handtuch zu werfen – wir haben gesehen, schon einmal war Frankenstein in der Vergangenheit nahe daran gewesen, Schluß zu machen, doch da schien sich ihm eine Möglichkeit zu bieten, dem Phänomen ›Öffentliche Meinung‹ näherzukommen: Im Dorf wurde die nächste Bürgermeisterwahl fällig – ich erinnere an Punkt c)!
    Nun sind diese demokratischen Wahlen ja – wie wir gesehen haben – immer schon eine Farce gewesen, ich möchte mir doch …« – ein schuldbewußter Blick auf die Uhr – »die Zeit nehmen, Jean Paul Sartre zu zitieren, einen Nobelpreisträger des vorigen Jahrhunderts, der seine Abneigung gegen das allgemeine Wahlrecht mit der ›vagen Vorstellung‹ begründete, ›daß eine Wahl niemals Ausdruck des konkreten Denkens eines Menschen sein kann. Erst viel später wurde mir‹ – also Sartre – ›klar, was mich am allgemeinen Wahlrecht störte: es konnte lediglich der indirekten
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