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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Durfte, ja, mußte Frankenstein da nicht frohlocken? Sollte er nicht hoffen dürfen – ja, müssen! –, daß Einzelschicksale, und nur um solche konnte es sich bei etwaigen zukünftigen Begegnungen seiner Geschöpfe mit den Dörflern ja handeln, daß Einzelschicksale, womöglich geschickt kaschiert, keinen Einfluß mehr hätten auf das allgemeine ›Meinungsklima‹?
    Wenn es ihm gelänge, in der generalisierten Vorstellung der Menschen ein ›Ja zu unserem Herrn Viktors Arbeit‹ einzubetten … und wenn es ihm ferner gelänge, etwaige Opfer, Todesfälle oder ähnliches, hervorgerufen durch die Ahnungslosigkeit seines Geschöpfes beziehungsweise der Menschen, die diesem begegneten – und natürlich auch Irgendhinterbliebenes –, von der Masse der Bevölkerung fernzuhalten … wenn es ihm gelänge, Mitleidseffekte, Rachegefühle, Angst und so weiter zu isolieren … DANN könnte seine Arbeit eigentlich weitergehen, dann könnte er seine Forschungen auf seinem ureigensten Gebiet endlich wieder aufnehmen!
    Frankenstein mußte sich sehr beherrschen, mußte sich sehr zusammennehmen, um im Überschwang all des Gelernten nicht zu rasch den nächsten Schritt zu setzen. Klaren Verstandes hätte er es vermutlich nicht geschafft – zu seinem – und unserem! – Glück aber brannte die enttäuschende Erinnerung an das Fiasko mit ›seinem‹ ersten Menschen noch zu lichterloh in seinen Gedanken, zu tief eingegraben in Unterbewußtes mochten die Flammen noch sein, die sein erstes, Leben gewordenes Experiment in der Mühle am Gipfel des Berges verschlangen. Und das so kurz, so unmenschlich kurz nach dem größten Triumph, ES leben zu sehen! Nein, er durfte jetzt nichts überstürzen, durfte den auch noch so vielversprechenden Resultaten seiner trotz überwältigender Ergebnisse doch noch rudimentären kommunikationswissenschaftlichen Untersuchungen nicht zu sehr vertrauen.
    Dr. Viktor Frankenstein war ein zu gewissenhafter, skrupulöser, penibler Wissenschaftler, als daß er ohne Laborversuche Entscheidendes, ja Lebenswichtiges unternommen hätte.
    Die für seine Theorie grundlegende Annahme, daß sich Menschen dem Gruppendruck anpassen und sich der Mehrheitsmeinung anschließen, mußte er zunächst vor sich selbst in Laborexperimenten mit Kleingruppen empirisch exakt nachweisen – erst dann konnte er seinen bisherigen Resultaten restlos trauen.
    In den später als grundlegend angeführten Experimenten klügelte Frankenstein als Aufgabe für die Versuchspersonen einen ›Linientest‹ aus: Es ging darum, die Längen von Linien miteinander zu vergleichen, ein, wie man meinen möchte, geradezu haarsträubend einfacher Test.
    Es zeigte sich jedoch, daß eine große Anzahl von Versuchspersonen sich bei ihren Schätzungen der offensichtlich falschen Mehrheitsmeinung der Versuchsgruppe anschloß – das hieß: ein Teil seiner theoretischen Erkenntnisse hatte sich gleich beim ersten Test als wahr herausgestellt, die Menschen warfen eher ihre eigene, richtige Meinung über Bord, als damit womöglich allein gegen eine Mehrheit, gegen das ›Meinungsklima‹ zu stehen. Dieses Plagiat kennen Sie …« – D’Ummél tippte beinah resigniert, resigniert dachten die Studenten: Zeiten mußten das gewesen sein! – »Asch, Solomon E.: Effects of Group Pressure Upon the Modification and Distortion of Judgement, in: Guetzkow, H. (Hrsg.): Groups, Leadership and Men. Pittsburgh 1951. – Natürlich …« – D’Ummél wandte sich wieder seinen Studenten zu – »ohne Erwähnung Viktor Frankensteins, der von seinem ersten Labortest, nehmt alles nur in allem, doch ziemlich enttäuscht war: Er mußte sich eingestehen, daß die Laborerkenntnisse keine ausreichende Grundlage für eine Theorie der ›Öffentlichen Meinung‹ darstellten.
    Ein Vergleich der Laborsituation mit den skizzierten vier Rahmenbedingungen …« – D’Ummél tippte einen Code ein, auf dem Bildschirm erschienen die vier Rahmenbedingungen grün auf wolkig-grau hervorgehoben – »hatte ein für den Bemühten bitteres Bild ergeben« – D’Ummél gab nun auch die vier bitteren Bilder ein, widerstrebend, wie es schien -:
    »a) Im Laborexperiment ist die Relevanz der Thematik den betroffenen Versuchspersonen meist fremd – es mag als Unterschied erkenntlich sein, ob es darum geht, zur Länge eines Striches Stellung zu beziehen oder zur Leiche eines Kindes des Nachbarn;
    b) Die Labor-Versuchsgruppen wiesen eine ganz einfache Sozialstruktur auf, es handelte sich um
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