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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Demokratie dienen, und die ist Betrug.‹ Wir haben eingangs gesehen, warum.
    Nun war es allerdings genau das, was Frankenstein vorhatte – will man das ironisch so betrachten. Bisher war das Ereignis ›Bürgermeisterwahl‹ an ihm unbeachtet vorübergeperlt, sein Vater, beziehungsweise dessen Kammerdiener, hatte sich darum gekümmert, daß ein dem Hause Frankenstein genehmer Kandidat gewann – in dieser Hinsicht figurierte das baronale Haus in der Rolle, die später dann ganz allgemein ›der Wirtschaft‹ zukam.
    Nun aber beschäftigte Viktor Frankenstein der ›Wahlkampf‹, wenn man das schon so nennen konnte, ungemein. Geradezu enthusiastisch nahm er die aufregende Chance wahr, sein Konzept der ›Schweigespirale‹ in praktischer Anwendung erprobt zu sehen.
    Bürgermeisterwahlen!
    Eine Wahlentscheidung!
    Welche Chance …!«
    D’Ummél ließ eine wirkungsvolle Pause eintreten, fuhr dann schier betäubt fort:
    »… doch welch niederschmetterndes Ergebnis für den Hoffnungsvollen, welch niederschmetterndes Ergebnis für seine weitere Arbeit!
    Ich fasse zusammen,
    a) Die Bürgermeisterwahlkämpfe hatten zwar eine politische Thematik, welche für die Wähler von beträchtlicher Bedeutung war, doch ließ sich nicht übersehen, daß viele Wähler vom Ausgang der Wahl keine wesentlichen Änderungen im Bereich der Politik oder gar im persönlichen Alltag erwarteten – die Wähler waren also schon zum damaligen, so frühen Zeitpunkt demokratischer Rudimente überzeugt, es sei völlig gleichgültig, wer Wahlen gewänne. So negativ für Frankenstein diese Erkenntnis auch sein mochte, stellt sie unseren wählenden Ahnen doch ein gewisses Reifezeugnis aus!
    b) In den Bürgermeisterwahlkämpfen wurde die gesamte erwachsene Bevölkerung angesprochen, ihre relevanten sozialen Strukturmerkmale waren somit äußerst komplex und uneinheitlich – für Frankenstein also nicht zu verwendende Kriterien. Der Schreiber zum Beispiel, der gewählt werden wollte, versprach dem Wirt fette Gemeinderatsgelage, wenn er für ihn würbe, und dem Pfarrer, seinen Kirchturm zu reparieren, wenn der ihn in seinen Predigten mit Lob bedächte – so unterschiedliche Versprechungen ließen keine einheitliche wissenschaftliche Auswertung zu, sollten aber noch durch Jahrhunderte das äußere Erscheinungsbild sogenannter Demokratien bilden – wir hörten das Wort von der indirekten Demokratie und was diese vorstellte: einen strafrechtlichen Tatbestand.
    c) Die damaligen Massenmedien spielten bei diesen Bürgermeisterwahlen eine sehr wichtige Rolle, wobei von den verschiedenen Medien unterschiedliche Wirkungen ausgingen, so daß nicht alle Bevölkerungsgruppen in gleicher Weise beeinflußt wurden.
    Wie sollte Frankenstein daraus Schlüsse für sein weiteres Vorgehen gewinnen?
    Schließlich …
    d), bestätigte sich ein Eindruck, den Frankenstein schon bei den Besuchen diverser Würdenträger in seinem Schloß gewonnen hatte, in eindrucksvoller Weise – das war für ihn der einzige Punkt, in dem dieser Wahlkampf um den Bürgermeistersessel eine unmittelbare und verwertbare Bestätigung brachte: Die politischen Entscheidungsträger sind in den Wahlkämpfen vom Ausgang des Meinungsbildungsprozesses existentiell betroffen.
    Entsprechend deutlich wird die Bereitschaft demonstriert, auf die ›Öffentliche Meinung‹ einzugehen und die Interessen der Basis zu berücksichtigen. Heftigste Privilegienritter etwa gebärdeten sich als absolute Gegner ihrer eigenen Privilegien und erwarteten, daß ihnen das jemand glaubte! Doch siehe da: Es wurde ihnen immer wieder und immer wieder geglaubt! Ich sehe Ihnen an, was Sie denken: Zeiten müssen das gewesen sein, Zeiten!
    Von Frankenstein konnte natürlich niemand erwarten, daß er seine Forschungen im chemisch-biologisch-physikalischen Bereich mit ›Kommunalwahlen‹ koordinieren sollte, um in der Wahlkampfstimmung ein Geschöpf zu produzieren. Außerdem erschien es ihm unsicher, ob dann nicht ein anderer Kandidat seine Schöpfungen in gegenteiliger Hinsicht zum Wahlkampfthema hochstilisieren würde, um eine ›Jetzt-erst-recht!‹- Stimmung, eine Pogrom-Stimmung zu provozieren.
    Diese wenigen Überlegungen ließen Frankenstein erkennen, daß gewichtige Unterschiede zwischen den sozialen Rahmenbedingungen der Konformitätsexperimente und jenen der Bürgermeisterwahlkämpfe bestanden.
    Überdeutlich wurde ihm bewußt, wie problematisch es aus dieser Sicht sein mußte, ausgehend von gruppendynamischen
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