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Ich Bin Ein Schwein

Ich Bin Ein Schwein

Titel: Ich Bin Ein Schwein
Autoren: Tanja Steinlechner
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    Die Matratze ist sehr hart.
    Die Wand muss früher mintgrün gewesen sein. Das kleine Fenster lässt den Schein einer Straßenlaterne herein. Ihr Licht reicht nicht bis zu mir.
    Das Kopfkissen ist schmal und nicht gut gepolstert. Ich vermisse das Kopfkissen bei Jeanne.
    Im Stockwerk unter mir wird geschrieen. Worte sind nicht zu verstehen.
    Jeanne hat nicht geschrieen und nie viele Worte gebraucht. Wir hatten sie nicht nötig. Jetzt, um drei Uhr morgens, denke ich an ihren Nacken, wie ich ihn das letzte Mal vor mir gesehen habe. Schmal. Gebräunt. Unter wirrem dunklen Haar. Ihr geschmeidiger Rücken. Meine Hände auf ihrem runden Po, rote Druckstellen von meinen Fingern auf ihrer leicht öligen Haut.
    Jeanne war keine Französin. Dafür sprach sie zu akzentfrei. Als ich ihr einen französischen Kosenamen gab – ma tigresse –, verstand sie ihn nicht und kniff ihre Augen zusammen.
    Jeannes Augen waren nachts, in ihrer Wohnung, dunkel. Bei grellem Licht eisblau. Wenn sie in der Dämmerung, kurz bevor die Nacht endgültig da war, eine Lampe einschaltete, wurden ihre Augen durch das Zusammenziehen der Pupillen für einen Augenblick so hell, als ob sie gar keine Farbe hätten.
    Jeanne war Raucherin. Am liebsten rauchte sie Marlboro mit Menthol. Ihre Fingernägel waren kurz, nie lackiert, sondern nur poliert, wie sie mir einmal erklärte, während ihr Zeigefinger meinen Bauchnabel umkreiste. Das schont den Nagel. Sie hob die andere Hand an den Mund und nahm einen Zug, dann klopfte sie die Asche in ihrem roten Aschenbecher auf dem Nachttisch ab. Er war aus dickem Glas und hatte kleine weiße Pünktchen. Mich erinnerte er immer an einen Fliegenpilz.
    Außer Zigaretten mit Menthol mochte Jeanne Alkohol mit Fruchtgeschmack. Eisgekühlt und aus kleinen Gläsern.
    Als ich sie das erste Mal sah, stand sie in einer hüftlangen grünen Jacke vor dem Regal und konnte sich nicht entscheiden. In jeder Hand hielt sie eine Flasche Hochprozentigen. Ihre Wangen waren von der Kälte draußen gerötet. Sie krauste die ziemlich kurze Nase und verzog die Lippen. Die vom Sprühregen feuchten Locken berührten ihre Wange. Ich konnte ihre langen Wimpern erkennen. Ihre Augen waren stark geschminkt. Der Mund überhaupt nicht.
    Es war kurz vor acht an einem Märzabend. Ich hatte ein Sixpack Bier in der Hand, eine Tüte Erdnussflips, wie ich sie schon als kleiner Junge gern gegessen hatte, unterm Arm und den Fernseher zu Hause aus Bequemlichkeit einfach angelassen.
    „Maracuja oder Erdbeer“, murmelte die Frau in der grünen Jacke und legte den Kopf etwas schief. Ich hätte ihr gern die dunkelbraunen Haare aus dem Gesicht gestrichen. Langsam bewegte ich mich zum Regal mit der Schokolade, um sie noch näher ansehen zu können. Ich nahm eine Packung Pfefferminztäfelchen und drehte sie zwischen den Fingern hin und her.
    In diesem Moment blickte die Frau auf. Ihre Augen hatten das Eisblau von Gletscherbonbons. Sie sahen mich, taxierten mein Gesicht, die Flipstüte und die Schokolade, die mir fast aus der Hand rutschte.
    Sie lächelte mit geschlossenen Lippen.
    „Pfefferminzschokolade passt gut zu Erdbeer“, sagte sie. Ihre Stimme war warm und ein bisschen heiser.
    „W... wirklich?“, stammelte ich und bemühte mich, die Flips nicht fallen zu lassen.
    „Oh ja“, sagte sie. „Glauben Sie mir nicht?“
    „Doch, doch“, sagte ich und merkte, wie ich rot wurde.
    Wieder das Lächeln mit geschlossenen Lippen.
    „Das hört sich nicht sehr überzeugt an.“
    Mir fiel nichts ein, was ich hätte antworten können. Mein Gehirn fühlte sich völlig leer an.
    Ein paar Sekunden stand ich idiotisch da und starrte sie an, dann drehte ich mich um und ging zur Kasse. Während der Mann das Bier, die Flips und die Schokolade scannte, verfluchte ich mich selber und schwitzte in meiner Daunenjacke.
    Hinter mir stellte sich jemand an. Ich drehte mich nicht um, sondern bezahlte und stürzte aus dem Kiosk. Draußen fummelte ich die Schlüssel aus meiner Jackentasche, klemmte mir meine Einkäufe unter den einen Arm und versuchte, mit der freien Hand das Auto aufzuschließen. Es war ein alter, blauer Fiat Uno. Das Schloss auf der Fahrerseite klemmte.
    „Am besten, Sie probieren es einfach“, sagte ihre Stimme direkt hinter mir. „Sie werden nicht mehr aufhören können. Versprochen.“
    Ich blickte über meine Schulter, den Schlüssel halb im Schloss, die Flips schief unterm Arm, und sah eine kleine rosa Zungenspitze über die ungeschminkten
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