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Was weiß der Richter von der Liebe

Was weiß der Richter von der Liebe

Titel: Was weiß der Richter von der Liebe
Autoren: Klaus Ungerer
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Absacken in eine Leere, und instinktiv wird man wissen: Dies ist der Moment für einen ehrlichen, warmen Applaus, den aber jeder hier sich verkneifen muss.
    »Danke« – das darf heute nur der Richter sagen, und dann wird der Rest vom Prozess rasch noch durchgewunken: Ganz dumm habe das angefangen, wird Herr Hübner glaubhaft versichern, kannst du dies einmal holen, kannst du das einmal holen, so habe der Exschwager ihn herumgeschickt. Für die Ärzte hat Herr Hübner im Nachhinein wenig Verständnis: »Das hätten die gar nicht machen dürfen!«, sagt er voll ehrlicher, doch weicher Empörung – na ja. Hauptsache, es ist vorbei. »Ich denke, ich kann mich kurz fassen«, plädiert der Staatsanwalt, das heißt auf Deutsch: Man hat sich schon vorher auf ein Urteil geeinigt, als man auch die Zahl der verhandelten Fälle von 807 (zwischen August 2000 und Februar 2003) auf handliche 151 zusammenkürzte, und so kommt die Robbe Hübner mit zwei Jahren auf Bewährung davon. Das Geständnis wird ihr »erheblich strafmildernd« angerechnet: »Wir hätten sonst zahlreiche Rezepte verlesen müssen.«

ÜBERRASCHENDE GEFECHTSLAGE
    Die Goldkrone ist eine traditionsreiche Spirituose: Generationen von NVA-Soldaten half sie, dem Imperialismus einen Antiimperialismus entgegenzusetzen, half sie, die nötige Disziplin und den Drill zu ertragen oder auch einmal gönnerhaft über Mängel hinwegzusehen, die es selbst in der aufrechtesten Einheit noch gegeben haben mag. Die Goldkrone, sie war eine der großen sozialistischen Erfolgsgeschichten, und sie ist es bis heute: In ihr finden nur Teile von bourgeoisem Weinbrand sich (keinesfalls mehr als 20 Prozent), und der Rest speist sich aus ehrlich erarbeitetem Neutralalkohol agrarischer Herkunft sowie brauner Zuckercouleur, welche das bräunliche Erscheinungsbild der Goldkrone prägt.
    Die Goldkrone und ihr qualitativ etwas minderer Bruder, der Goldbrand, haben den Volksmassen das Recht auf Spirituosenkonsum gebracht, für 17,50 beziehungsweise 14,50 Ostmark waren sie in den Läden erhältlich, und wie Michael Ballack oder der grüne Abbiegerpfeil gehören sie zu den großen, bleibenden Errungenschaften, die die DDR uns hinterlassen hat. Ein buntes Panoptikum an Anbietern gibt es, die auch heute noch ihre Goldbrände vorhalten, und dass der Bedarf nach günstigem Sprit heute ebenso wie zu Mauerzeiten besteht, dafür sorgen die gesellschaftlichen Verhältnisse – zumal in der NVA-Nachfolgeorga nisation .
    Denn nichts kann jemals gänzlich verschwinden, nichts ist, das keine Spur hinterlässt. Zwar ist die Nationale Volksarmee von1990 an raschestmöglich abgewickelt worden, sind ihre Standorte weitgehend geschlossen, ihre Offiziere und Unteroffiziere entlassen und ihre Waffensysteme verschrottet oder nach Griechenland und Indonesien verschenkt worden – die Goldkrone aber blieb. Ihr konnte niemand etwas anhaben, sie beseelte auch in den neuen Zeiten die Verteidigungskräfte, bis heute hin kennt man sie in der Truppe als »0,7er-Glasmantelgeschoss«. Ja, selbst der Richterin im Saal 456 des Amtsgerichts Tiergarten geht der Name »Goldkrone« ganz geläufig über die Lippen.
    Überhaupt entwickelt sie trotz einer gewissen Fremdheit in der Materie (»Herr Homp, ich verrate Ihnen mal ein Geheimnis: Ich habe nicht gedient!«) einiges Verständnis für militärische Dienstbelange: Zwar ist Alkoholkonsum streng verboten bei der Bundeswehr, das weiß sie wohl, doch kann sie sich auch einfühlen in jeden Einzelnen, der da draußen im Biwak irgendwo im JWD-Wald die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik stärkt: Biwak, sagt sie, minus zehn Grad, Lagerfeuer … Da ist es doch vielleicht nicht ganz ausgeschlossen, dass die eine oder andere Flasche kameradschaftlich kreist? Hm? Solange man nicht anfängt, mit dem Panzer herumzufahren, sagt die Richterin, sei das doch auch nicht weiter problematisch …
    Richtig, bestätigt der Angeklagte Homp, 31 Jahre alt, seines Zeichens Hauptfeldwebel und auf gewisse Weise zuständig für die Zustände. Jedoch: Wenn er es von heute her so betrachtet, dann hat er doch gar nicht so viel mitbekommen von der Sache, so wie eigentlich fast niemand richtig viel mitbekommen hat – vom Wehrdienstleistenden Andreas Isensee einmal abgesehen.Der hat etwas fürs Leben mitbekommen, der spürt heute noch die Spätfolgen der überraschenden Gefechtslage, die sich damals im Biwak ergab. Aber er ist eben auch ein Student, dieser Andreas Isensee, der tritt mit
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