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French 75: Ein Rostock-Krimi

French 75: Ein Rostock-Krimi

Titel: French 75: Ein Rostock-Krimi
Autoren: Richard R. Roesch
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Prolog
     
    Am dritten Tag von Tobias Siegfried März’ Aufenthalt kam der dänische Premierminister mit dem Dienstflugzeug nach Bornholm. Tobias saß während des Festaktes neben ihm und ging in Gedanken seinen Vortrag durch. Die Studenten der hiesigen Fachhochschule gestalteten das Rahmenprogramm, und hin und wieder lachte der Premierminister, beugte sich zum Poeten herüber und nickte ihm zu. März lächelte zurück.
    Vor dem Bornholmer Kunstmuseum waren dänische Flaggen aufgezogen, er sah sie durch die Panoramafenster des Kunstcafés, das bis auf den letzten Platz gefüllt war. Selbst die internationale Presse hatte ihre Kulturbeauftragten geschickt, zumeist junge Frauen, fachlich überfordert, aber redegewandt. Der Poet ließ sich abfotografieren, blieb einen Moment stehen, ehe er auf die Tribüne stieg.
    Er räusperte sich, bevor er begann: »Sie kommen, hörst du, ich fürchte sie kommen, sie kommen in ihren zarten Körpern, die nur zart scheinen. Sie trotten, blind, über die Gehöfte, ich fürchte fast, sie kommen schon wieder. Kamerad, wieder eine schmerzvolle Nacht, gespickt mit ihrem grellen Lachen, greller als die Neonlampen in unseren guten, alten Kasernen, in die wir vor ihnen flüchten, ich fürchte fast, sie kommen, sie kommen schon wieder. Mit ihren Brüsten, mit ihren Blicken. Kamerad, sie werden uns wohl gefunden haben. In unseren Panzern, wo wir uns vor ihnen verstecken, sie bleiben uns an den Fersen, sie lassen uns nicht mehr allein, sie wollen Männer sein mit ihren Brüsten. Und ihren Blicken. Kamerad, wohin mit unserer Einsamkeit, die nicht ist, weil nichts ist in ihrem Palaver, hörst du? AH. Sie fallen ein, sie wollen reden .«
    Erschöpft schloss er die Augen und umklammerte die Ecken des Stehpultes. Der Applaus wollte nicht enden, er kannte das schon. Er nahm einen Schluck Wasser, zog sich den Schlipsknoten auf, öffnete den Hemdkragen, dann schrie er das Publikum unvermittelt an: »Was ist’s, das, wider die Natur, dich narrt? AH. Bereit, dir alles zu vergeben, dir Hymnen ankarrt? Wenn du, nur nicht wieder, losgelöst der Masse, dich erklären willst zu einer neuen Klasse ?«
    Stille.
    Tobias starrte in die erschrockenen Gesichter, lächelte, richtete seine Kleidung, strich sich das lange Haar zurück und verließ die Bühne, um sich wieder neben den Premierminister zu setzen. Er beugte sich zum Politiker und nickte ihm verschwörerisch zu. Der Staatsmann ignorierte ihn.
    Dann übernahm der Vorsitzende der internationalen Jury das Wort: »Wir haben uns in diesem Jahr für das Werk des aus Deutschland stammenden Tobias Siegfried März entschieden, weil uns die Unerbittlichkeit beeindruckt hat. Die unbedingte Echtheit der zu Versen veredelten Gefühle. Wir wissen, wie schwer es ist, dieses Echte trotz der vielen Destillationsprozesse zu bewahren. Wir haben in diesem Jahr auf dem ganzen Kontinent keinen Zweiten gefunden, der die Prämissen des Lyrik Awards so erfüllt, wie der aus der Mitte Europas stammende März. Meine Damen und Herren, bitten Sie mit mir den Meister der Lyrik und Träger der Bornholmer Rose noch einmal auf die Bühne.«
    Tobias wartete, der Applaus schwoll an, der Veranstalter schaute nervös, endlich erhob sich der Geehrte und erklomm zum zweiten Mal die drei Stufen der provisorischen Bühne. Er nahm die goldene Trophäe in Form eines Rosenbusches an sich, dankte mit wenigen Worten und endete, wie jeder gute Preisträger, mit dem Satz: »Meine Damen und Herren, das Buffet ist eröffnet!«
    Befreites Gelächter brandete auf. Tobias besah sich seinen Preis und entdeckte im Gold zwei Edelsteine verarbeitet. Er fragte den Juryvorsitzenden: »Die sind jetzt aber nicht echt?«
    »Natürlich sind sie das. Eine Arbeit aus Amsterdam.«
    Tobias schritt die Reihe der Kulturbotschafter ab und drückte die Hand Englands, der Niederlande, Belgiens, Spaniens, Frankreichs, Polens, Italiens, Finnlands und aller anderen europäischen Staaten. Zu jedem Händedrücken sagte er: »März, Tobias März, März, Tobias März.«
    Als der offizielle Festakt vorüber war, fragte er sich, wohin mit der Trophäe? Er schätzte sie als recht wertvoll ein, dazu kam noch das nicht unerhebliche Preisgeld. Es gab Tage, da fand er sich schrecklich überbezahlt.
    Vor der Tür rauchte er einen Zigarillo, nickte den schüchtern schauenden Gästen zu, die sich um den Aschenbecher gruppiert hatten, und beobachtete durch die Fenster die geladenen Gäste, die das Buffet stürmten. War nicht wenigstens das
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