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French 75: Ein Rostock-Krimi

French 75: Ein Rostock-Krimi

Titel: French 75: Ein Rostock-Krimi
Autoren: Richard R. Roesch
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Väter gibt, dachte er.
    Zwölf Mal schlug die Domuhr, dann erklang ein Lied, gespielt von Glöckchen. Er ging weiter. An vielen Häusern standen die Fenster sperrangelweit offen. Radiomusik. Und vor dem Brunnensporten wuchs die Hagebutte sich fett. Aus dem Tor selbst, das einst zum Brunnen geführt hatte, erklang ein Säuferlachen. Er, der aus ärmsten Verhältnissen kam, dachte: Säufer in Schweden, das müssen reiche Leute sein.
    Die Nummer fünfzig der Norra Murgatan war hellrot getüncht und ihr Dach zog sich weit hinaus auf die Gasse, die sich auf einer Wiese verlor, übersäht mit Kamille. Hier lagen zwei große Steine im niedrigen Gras, kalkweiß, schwarz verwittert, mit Moos gelb bewachsen, und hier machte die Schutzmauer eine Biege. Er fand ein paar Stufen, und wenig später stand er auf den Zinnen, Blick nach Südwest. Er sah leere Wegkreuzungen im Gelände, ehe sein Blick nach Südost wanderte, vorbei am Dom und hin zu einer fernen Steilküste: Hoerskint.
    Danach eine zwei Meter breite Gasse, nach Norden hin, in der Rosenstöcke an den Katenmauern wuchsen. Rosen blühten auch in Töpfen, die auf Stufen gestellt worden waren. Rechts war im Pflaster eine Rinne für Regen, über die Hofzäune wuchs Wein. Zwischen dem Kopfsteinpflaster wucherte blühendes Gelb, und als die Gasse auf die Skogränd stieß und zwischen zwei Holzzäunen endete, russisch schwarz und mit grünen Fensterläden dahinter, da war die Fiskagränd plötzlich nur noch einen knappen Meter breit. Wo war der öffentliche Raum geblieben?
    Das höchste Haus in der Lybska Gränd war die Apotheke. Hanseatisches Dachtreppenmuster, das oben zusammenlief. Seitlich fand sich ein zweiter Eingang. Für das Geschäft hinterm Geschäft , nickte er wissend vor sich hin. Dann kam die Schweitzergränd, es war die breiteste Gasse mit den längsten Häusern und dem Stadtgymnasium. Wie waren denn Schweizer nach Gotland gekommen? Er dachte: Komisch .
    Am Ende der Trappgatan dann endlich das Kleinod. So unscheinbar war diese Gasse, an deren Ende sich ein winziger Park versteckte. Vom hölzernen Umlauf des steinernen Balkons aus hatte er einen majestätischen Ausblick. Hoch über den Dächern der Altstadt, über dem Marktplatz mit all den Giebelbögen der Kirchenruine, befand er sich. Schräg dahinter der Hafen und die Ostsee bis hin zum Horizont, der Blick eingerahmt von Grün, das nicht von Caspar David Friedrich gemalt worden war. Sein Blick fiel auf ein kleines Dachfenster mit braunem Rahmen, in dem eine weiße Lampe stand. Auf den Balkon daneben trat eine junge Frau in T-Shirt und Slip. Sie telefonierte lächelnd und warf das Haar zurück, er aber dachte: Nie fotografierte ich das Meer, immer nahm ich es mit als Geräusch.
    Apfelbäume, Wallnussbäume, im Garten der Nummer sechsundzwanzig der Nygatan gab es alles. Schierer Wildwuchs, als wäre er als Ablenkung gedacht, denn das Holz des Hauses war schwarz, verkohlt und übersäht mit Brandblasen, uralt. Und auf der Prachtstraße Vårdklockegatan kam es ihm dann vor, als sähe er auf das süditalienische Salerno am Mittelmeer.
    Geschützt von der Stadtmauer befand sich in Visby ein Botanischer Garten direkt an der See. Bäume aus allen Ländern und Gestein von allen Planeten, er litt unter den vielen Reizen der prachtvollen Stadt. Auf den Holzstufen des Pulverturms am Fiskaporten ließ er sich das beschriebene Blatt Papier vom Wind aus den Händen reißen.
    Er schleppte sich durch die Schönheit des Herbstes und durch die Gassen der Museumsstadt und sah später aus seinem Fenster. Direkt vor sich hatte er den wuchtigen Bau des Doms.
    Sein Wohnhaus stand auf einer Anhöhe, so dass er von seinem Fenster aus mitten in die Glockentürme sehen konnte. Er fand sich im Angesicht der übergroßen Schutzheiligen wieder, hinter denen sich die Ostsee erstreckte.
    Neben dem Dom war die Sonne. Zur Teezeit schob sich Tag für Tag eine Fähre von backbord nach steuerbord durch das Gemälde, auf dem sich zur Linken, am Fuß des Doms eine Treppe mit mittelalterlichen Laternen und Geländer befand, die auf den Norderklint führte. Zählte man von unten, waren die Zahlen der Stufen zwischen den Absätzen dreizehn, neun, zehn, elf, elf, zehn und zehn. Zur Rechten hatte der Dom ein kleines Tor. Es war breit gemauert, als Durchgang gedacht, und war absatzartig mit einem Spitzdach versehen. Weiß getüncht, im Durchgang selbst hatte es eine Gaslaterne. Das Tor beeindruckte ihn durch seine Winzigkeit im Schatten des riesigen Doms.
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