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French 75: Ein Rostock-Krimi

French 75: Ein Rostock-Krimi

Titel: French 75: Ein Rostock-Krimi
Autoren: Richard R. Roesch
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gegen neun Uhr morgens das Telefon klingelte, schrak Pawel so sehr zusammen, dass er vom Stuhl fiel, dessen Lehne er zurückgestellt hatte. Er bedachte seine Ehefrau mit einem Fluch und kroch mit Schwindel im Kopf zum Telefon. Pawel schloss die Augen.
    »Ja?«, meldete er sich und lehnte sich gegen die Wand. Er streckte die Beine aus und gähnte.
    »Schon wieder!«, sagte Tina ohne Einleitung. »Gerade eben!«
    »Und haben Sie getan, was ich gesagt habe?«
    »Ja, es hat funktioniert.«
    »Ich bin in einer halben Stunde da, sorgen Sie bitte für einen Kaffee«, sagte Pawel und legte auf.
    Sich so früh zu melden, ist untypisch für Erpresser , dachte er. Wenn es zu schnell geht, bekomme ich bei der Sache nicht mehr als die dreihundert zusammen. Hoffentlich sind das keine Amateure!
    Auf dem Flur traf er den Standortchef einer international agierenden Autovermietung und nickte ihm zu. Er spürte den bewundernden Blick des Mannes, der wohl glaubte, sein Job war auch nur halb so aufregend wie der eines Schriftstellers. Pawel grinste. Nicht, dass er Schriftsteller kannte, aber er hielt ihre Arbeit für verdammt spannend. Allein das Leben von Sergeji Jessenin, dem besten Dichter der russischen Seele! Mehr brauchte man doch gar nicht zu wissen. Reihenweise hatte er Frauen verführt, um daraus Kapital zu schlagen: »Haben Sie das alles denn selbst erlebt?« – »Aber ja, Gnädigste.« – »Wie furchtbar!« – »Ich war unsterblich verliebt!« – »Oh je, nehmen Sie, hier ist die Adresse meines Landsitzes, nehmen Sie!« Pawel lachte vor sich hin, stieg auf dem Parkplatz umständlich in seinen Peugeot und verließ wenig später das Hafengelände der Freihandelszone.
    Um ins Neubaugebiet von Rostock-Lichtenhagen zu kommen, musste er durch die ganze Altstadt der größten Stadt Mecklenburgs, die im zweiten deutschen Krieg zum Glück so sehr zusammengeschossen worden war, dass sie danach völlig neu aufgebaut werden musste: mit schönen breiten Alleen, geraden Straßen und genügend Fußgängerbrücken; Pawel entspannte sich. Er fuhr durch die KTV, die Kröpeliner-Tor-Vorstadt, ein Studenten- und Künstlerviertel, und wenig später durchs Hansaviertel, das hauptsächlich aus Kasernen der Zwanziger- und Dreißigerjahre des vorigen Jahrhunderts bestand. Damals wurden in Rostock die besten Militärflugzeuge der Welt gebaut. Hunderte neue Arbeiter kamen monatlich in die Stadt, die heute, wie Pawel fand, am Boden lag. Er nahm die vierspurige Stadtautobahn und war nach zwanzig Minuten bereits in Rostock-Lütten Klein. Kurz darauf bog er nach Lichtenhagen ab. Das Sonnenblumenhaus stand hier noch immer, weiterhin unsaniert. Ein Hochhaus aus roten und grauen Betonplatten, in dem Anfang der Neunzigerjahre Rostocker Bürger Asylanten und alteingesessene Vietnamesen in Brand gesteckt hatten. Nichts erinnerte heute an dieses Rostocker Pogrom. Pawel kurbelte das Fenster hoch, ließ das Haus links liegen und suchte die Boitzenburger Straße.
    Die Straße befand sich inmitten eines Viertels im Viertel, das schneckenförmig gebaut worden war. Hier waren die sechsstöckigen Neubauten saniert worden. Viele Balkone hatten Fensterscheiben, die zugezogen werden konnten. Pawel fand direkt vor der Nummer sechsundneunzig einen Parkplatz und klingelte wenig später bei Schneider.
    »Ja?«
    »Höchst, Pawel.«
    »Kommen Sie herein, dritter Stock.«
    »Fahrstuhl?«
    »Wo denken Sie hin?«
    Eigentlich traf Pawel sich mit seinen Klienten lieber an Orten, die belebt waren, aber diesmal war das nicht möglich. Er musste die vielen Stufen in Angriff nehmen. In der dritten Etage stand eine der vier Wohnungstüren offen. Pawel zog sich, gegen das Treppengeländer gelehnt, die Schuhe aus und ging in Tinas Wohnung, bemüht, das Keuchen zu unterdrücken.
    »Oh, anstrengend?«, fragte sie. »Ich dachte, Detektive sind sportlich.«
    Verärgert winkte Pawel ab und ließ sich auf die Couch fallen: »Ein Seemann ist kein Bergsteiger, dafür ist ein Bergsteiger auch kein Seemann.«
    »Das ist wohl wahr!«
    Tina verschwand in der Küche, die durch eine Schiebetür vom Wohnzimmer abgetrennt war, und kam wenig später mit zwei Pötten Kaffee wieder.
    Zucker und Milch standen schon auf dem niedrigen Glastisch, doch Pawel nahm nichts davon. Er holte tief Luft, hielt den Atem an, zählte bis zwanzig und stieß die verbrauchte Luft langsam wieder aus. Sein Puls hatte sich in der Zwischenzeit beruhigt, er konnte wieder gelassen atmen.
    »Na, dann«, sagte er, »erstmal
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