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French 75: Ein Rostock-Krimi

French 75: Ein Rostock-Krimi

Titel: French 75: Ein Rostock-Krimi
Autoren: Richard R. Roesch
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wieder einmal dankbar war, was er natürlich niemals im Leben zugegeben hätte. Ein Mann gab erst einmal gar nichts zu, schon gar nicht ein Seemann.
    Pawel tat vom Schlaf auf dem Chefsessel noch immer das Genick weh, und er musste grinsen, als er sich vorstellte, wie er da die ganze Nacht mit offenem Mund gehangen hatte, immer kurz davor, vom Stuhl zu kippen. Er legte den ersten Gang ein und beschloss, nicht zurück nach Rostock zu fahren. Er bog auf der Stadtautobahn nach links ab und fuhr nach Warnemünde. Kalter Seewind schien ihm das beste Mittel, um eine schlecht verbrachte Nacht zu vertreiben.
    So hatte er es auch all die Jahre auf den Hochseetrawlern ausgehalten, meinte er. Nachts kübelweise Selbstgebrannten trinken und tagsüber auf dem Oberdeck im Fisch stehen und ihn filetieren, immer bereit, den Pegel zu halten, immer darauf erpicht, nicht zur Besinnung zu kommen. Zum Glück lag das hinter ihm! Dass er das überlebt hatte, das grenzte doch schon an ein Wunder. Jetzt gab es für ihn keine Wodkabesäufnisse mehr, jetzt lebte Pawel schon lange im Westen, und im Westen trank man Cocktails. Daran hielt er sich, schließlich hatte er ja Westeuropäer werden wollen. So hatte er es auch bei einem der Treffen der Russlanddeutschen erzählt, die einmal im Monat in der Synagoge stattfanden.
    Er wolle keinen Wodka mehr, hatte er gesagt, er wolle das neue Leben mit einem wirklichen Anfang beginnen. Sonst hätte er ja auch im ehemaligen Leningrad bleiben können, wenn er kein Westeuropäer hätte werden wollen.
    Wie immer hielt er auf dem Parkplatz vor dem Hotel Neptun, dessen oberste Etage einen Blick bis nach Dänemark erlaubte. Nur drei weitere Wagen standen hier, und als Pawel ausstieg, wusste er auch gleich, warum das so war. Ein Märzsturm tobte durch den Badeort, der menschenleer dalag. Pawel ging auf die Promenade, am Kurhaus vorbei, und kämpfte sich bis zum Leuchtturm vor, neben dem der legendäre Teepott stand, Wahrzeichen des Ostseebades, das heute zwei Schweden gehörte, die sich hier noch nie hatten sehen lassen.
    Schon früher war dieses Gebäude, das wie eine riesige Teetasse aussah, ein Anziehungspunkt gewesen, heute beherbergte es nicht nur ein Restaurant, sondern auch ein Café, Shops und im Obergeschoss eine überteuerte Bar. Pawel entschied sich für die Bar.
    Es ging zwar auf Mittag zu, aber nicht ein Gast hatte sich in diesem unwirklichen Wetter hierher verirrt. Pawel setzte sich an einen Tisch direkt an einer der runden Fensterscheiben. Von hier aus hatte er einen uneingeschränkten Blick über die Ostsee, die vom Nordoststurm wild gepeitscht wurde. Hohe Wellen stürzten sich auf den breiten Badestrand und prallten rechter Hand gegen die Mole, an deren Ende sich einer der beiden Leuchttürme befand, die die Mündung der Warnow markierten, auf der es zum Hafen Rostocks ging. Aus dem Dunst tauchte ein riesiges Ungetüm auf, dreimal größer als der Leuchtturm, und schob sich in den breiten Fluss. Es war die Mittagsfähre aus Schweden und Pawel lächelte verträumt, als er das Hupen des Schiffes hörte. Er wusste ganz genau, wie froh der Kapitän und die Besatzung waren, Warnemünde trotz des Wintersturms erreicht zu haben. Es juckte ihn, einfach an Bord zu gehen und den nächsten Törn mitzumachen. Als Passagier!
    »Was soll es denn sein?«, riss ihn eine junge Stimme aus seinem Tagtraum. Überrascht blickte Pawel auf und sah einen Teenager vor sich stehen. »Zweites Lehrjahr« stand auf seinem Namensschild. Er sah sehr gepflegt aus und lächelte charmant. Pawel wusste, was das bedeutete, und lächelte lieber nicht.
    Schroffer als beabsichtigt sagte er: »Scheißwetter, was? Richtig was zum Schlussmachen!«
    Der Junge nickte, tapfer hielt er das Lächeln auf den Lippen.
    »Ich muss erst einmal frühstücken«, lenkte Pawel ein.
    »Oh, das trifft sich! Wir haben ein besonders gutes Angebot. Nach Art des Hauses! Etwas für richtige Seebären!«
    Das Grinsen des Jünglings verstärkte sich, fast wurde es frech, und Pawel glaubte, in eine Falle getappt zu sein. Er fragte, um Zeit zu gewinnen: »Was ist das?«
    »Alles, was echte Kerle wie Sie am Morgen brauchen: Rühreier, Speck, Würstchen, saurer Hering, garniert mit Sprotten. Große Kanne Kaffee. Und alles für nur siebzehn Euro achtzig! Da ist kein Schnickschnack wie Müsli oder Weintrauben oder Jogurt bei!«
    Pawel nickte. Er fühlte sich an der Männerehre gepackt. Mürrisch sagte er: »Nehme ich.«
    »Eine gute Wahl!«, sagte der junge Kellner
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