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Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)

Titel: Nenn mich einfach Superheld: Roman (German Edition)
Autoren: Alina Bronsky
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      Mir war sofort klar, dass man mich reingelegt hatte. Ich schob mir den Hut in die Stirn, warf den Zettel mit der Adresse, den mir Claudia zugesteckt hatte ( Familienbildungszentrum, Meditationsraum ), zusammengeknüllt vor meine Füße und wollte mich schon umdrehen und wieder nach Hause fahren, als ich dieses Mädchen sah. Sie schaute mich kurz an und wandte sich sofort ab. Ich nahm es ihr nicht übel. Meine eigene Mutter hatte wochenlang üben müssen, mir ins Gesicht zu gucken, und dieses Mädchen kannte mich noch gar nicht. Ich rechnete es ihr hoch an, dass sie nicht sofort kotzte.
    Anstatt also gleich umzukehren, blieb ich in der Tür stehen, schob den Hut wieder ein bisschen zurück und starrte wie ein Hornochse. Und begriff langsam, dass ich hier nicht weggehen würde. Nicht jetzt und am liebsten überhaupt nie mehr. Ich würde mich auf den letzten freien Stuhl setzen, der in dieser Runde stand und auf mich zu warten schien, und ich würde dieses Mädchen anschauen. Ich hatte noch nie eine derart märchenhafte Schönheit gesehen, mit solch grünen Augen, rabenschwarzen Haaren – und so traurig. Sie trug ein sehr langes Kleid mit feinen roten Blumen auf weißem Hintergrund, das ihre Beine bedeckte. Von mir aus hätte es auch kurz sein dürfen. In den Speichen ihres Rollstuhls leuchteten bunte Reflektoren, die wie Schmetterlinge und Butterblumen geformt waren.
    Also hob ich den Zettel mit der Adresse wieder auf und stopfte ihn in die Hosentasche. Dann rückte ich die Sonnenbrille zurecht und ging unter den feindseligen Blicken der anderen auf den letzten leeren Stuhl zu.

    Wir waren zu sechst. Außer diesem Mädchen und mir waren es: ein langhaariger Typ mit einer Beinprothese, ein schwammiges, teigiges Etwas mit rötlichem Flaum auf dem Kopf und ohne sichtbare Behinderungen, eine sehr langbeinige Tunte mit nervös umherirrendem Blick und ein arrogant dreinblickender Schönling, der wie ich eine Sonnenbrille trug. Meine war allerdings teurer. Er hatte sein Gesicht als Einziger nicht in meine Richtung gedreht.
    Wir sollten jeder eine Bongo-Trommel auf den Schoß nehmen und einen Rhythmus vortrommeln, der unsere Persönlichkeit beschrieb, sagte der Guru und schleppte einen Haufen kürbisartiger Gebilde in die Mitte unseres Stuhlkreises. Und jetzt!
    Als sich keiner rührte, dachte ich zum ersten Mal, dass ich hier vielleicht doch ganz richtig war.
    Der Guru ließ sich nicht entmutigen. Er drehte sich im Kreis, um jedem von uns einzeln ins Gesicht zu schauen. Bei mir tat er es erwartungsgemäß sehr kurz, bei dem Mädchen genau umgekehrt. Ich konnte ihn verstehen. Ich wusste auch nicht, was man hier überhaupt tun sollte, außer sie anzuschauen. Trommeln etwa?
    Wie hält sie es bloß aus, dachte ich. So schön und das einzige Mädchen unter lauter Jungs. Muss sie hier sein, weil sie im Rollstuhl sitzt und sich deswegen keiner dafür interessiert, was sie wirklich will? Haben ihre Eltern sie gezwungen? Wurde sie angelogen, genau wie ich?
    Das Mädchen zuckte, ohne meinen Blick zu erwidern, mit der linken Schulter. Ich tat ihr den Gefallen und schaute zu den anderen. Die begannen unruhig auf ihren Stühlen hin und her zu rutschen.
    Ich seufzte und richtete den Blick auf den Herrn der Trommeln.
    Der Guru hatte, und das war peinlich genug, genau wie ich einen Hut auf. Deswegen war mein erster Impuls, mir meinen eigenen herunterzureißen. Andererseits war ich schon lange nicht mehr beim Friseur gewesen, und das Mädchen hatte mit meinem Anblick auch so schon genug zu tun.
    Unter seinem Hut trug der Guru ein Gesicht unendlicher Güte. Er hatte etwas von einem alten Mädchen, das einmal sehr niedlich gewesen sein musste, Kulleraugen, die im Laufe der Jahre etwas verblasst waren, und viele kleine Falten um Mund und Augen. Seine Fröhlichkeit schien mir angesichts unserer düsteren Gesichter vollkommen deplatziert.
    »Dann mach ich das eben für euch«, sagte er mit unerträglicher Sanftheit. »Ich fang mit dir an, Janne.«
    So erfuhr ich, wie sie hieß.

    Ich hatte schon den Verdacht gehabt, dass sie sehr stolz war, als ich ihre schmalen grünen Augen gesehen hatte. Er bestätigte sich, als sie dem Guru ins Wort fiel.
    »Lassen Sie das«, sagte sie. »Was wissen Sie schon über mich.«
    »Dann mach’s doch selber, Zuckerschnecke«, sagte der Guru und trommelte etwas Heiteres mit den Fingerknöcheln vor. Dabei lächelte er so, dass sie rot wurde.
    »Ich fange an«, sagte ich, um sie zu erlösen. Aber ich war zu
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