Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was weiß der Richter von der Liebe

Was weiß der Richter von der Liebe

Titel: Was weiß der Richter von der Liebe
Autoren: Klaus Ungerer
Vom Netzwerk:
Spiropent N2, und zwischendurch gönnt die verschreibungsfreudige Berliner Ärzteschaft ihm auch noch ein paar andere Mittel: Primobolan etwa oder Andriol, aber am allerliebsten doch Spiropent, Herrn Hübners Asthmamittel. Spiropent N3, dreiundzwanzig Euro zehn.
    Eine Zeitlang hat Herr Hübner ziemlich viel Asthmamittel gebraucht. Und weil man so viel Asthma gar nicht kriegen kann und weil man ja auch keinen einzelnen Arzt mit so viel Asthma belasten will, so musste Herr Hübner, Maurer, heute 53 Jahre alt, die Straßen von Ostberlin ablaufen, und überall wo ihm ein Arztschild prangte, lief er ein und erzählte von seinem Leiden: Atembeschwerden nämlich, ein bisschen Rücken aber auch und vor allem: dass sein Hausarzt gerade nicht erreichbar sei – Urlaub oder so. Unangenehm! Völlig unbürokratisch halfen die Ärzte. Ohne allzu genaues Ansehen der Person rückten sie Hilfe raus, zumeist genügte ein fachkundiger Blick der Arzthelferin, die rasch mit dem Rezept verschwand, um es Herrn Hübner unterschrieben zu überreichen: Spiropent N3, umsonst. Ein Liebling starker Männer.
    Starke Männer oder solche, die stark aussehen wollen, schwören oft auf Spiropent, denn es hilft ihnen, leidiges Fett zu verbrennen, und wer das Asthmamittel nicht gänzlich unbedacht schlucken möchte, der kann ja Freunde fragen oder die Foren auf »muskelschmiede.de«, »muskelbody.de« oder »body-attack.de«: »Du musst nur aufpassen, dass Du nicht jeden Tag dieselbe Dosisnimmst. Gehe einfach langsam hoch. Wenn Du merkst, dass Du fiese Kopfschmerzen, Zittern und starke Krämpfe hast, die Dosis verringern.«
    Problem nur: Wer zufällig kein Asthmatiker ist, wie kommt der an sein Spiropent? Soll der nun den ungleich schwereren Weg der bewussten Ernährung einschlagen? Ein wenig Verteilungsgerechtigkeit haben auch Muskelmenschen verdient, und wie schön waren doch diese Zeiten damals, als hilfsbereite Asthmatiker wie Herr Hübner noch keine Praxisgebühr bezahlen mussten und einen Schwager mit Szeneanbindung hatten.
    Herr Hübner war sehr fleißig damals, und was ihm heute als kriminelle Energie ausgelegt wird, ist vielleicht nur eine allgemeine Energie, die ihn umtreibt: Unruhig hat er bereits vor der Verhandlung seine Plauze auf den kurzen Beinen durch den Gerichtsflur geschoben, qualmend dabei, halbminütlich schob er sich vorbei wie eine Robbe von Rilke, derweil sein Anwalt immer mal wieder in Vorverhandlungen verschwunden blieb, stets rege munterte Herr Hübner die Anwesenden auf (»Sie sind alle Journalisten, ja? Aber nix Schlimmet schreiben, ick bin kein Schwerverbrecher!«), zeigte er sich als Galan im Herzen, welcher Damen in Hoffnung und Not ungefragt den Weg zu den richtigen Räumlichkeiten wies. So muss er auch in den Arztpraxen aufgelaufen sein: bisschen klopsig und vernuschelt, aber doch auch so harmlos und zutraulich wie jene zoologischen Schwergewichtsbabys, die der Berliner so liebt – einer, dem man schon weiterhelfen mag, damit er dann auch bitte schön schnell wieder geht. Ob er denn auch untersucht worden sei im Verlaufe seiner achthundertsiebenaktenkundigen Arztbesuche? Wird der Staatsanwalt, wenn er sich von der Anklageverlesung erholt hat, fragen. Ja. Einmal.
    Aber so weit sind wir noch nicht. Wir sind noch mittendrin in der Anklage, versinken zwischen Pillen, hören Vöglein von draußen zirpen, bewundern das orangefarbene Plastikgestühl, das jeden Friedrichshainer Retro-Chic-Club zieren würde; Spiropent N3, dreiundzwanzig Euro zehn; mustern das Verhalten im Brandfall; Sympal, 25 Milligramm, fünf Euro neununddreißig; wir schauen dem Richter zu, der zu dösen scheint und doch hinterher auf kleinere Zählfehler hinweisen wird; betrachten die Schöffen beim Spielen mit dem Kugelschreiber, die Kolleginnen mit ihren Handy-Patiencen.
    So geht die Zeit dahin, Spiropent N3, dreiundzwanzig Euro und zehn, Spiropent N3 zweimal, sechsundvierzig Euro und zwanzig, Schöffenaugen suchen die Unendlichkeit, Robenträger blicken ernst in ihre Akten; Andriol N2, fünfundvierzig Euro und vierundvierzig, er macht es so gut, so sachgerecht, der aufrechte Staatsanwalt, nicht einmal sein Wasser benötigt er, er ist im Flow, erst ganz aufs Ende hin wird man eine leichte Eile ihm anmerken können, ehe er dann – »Und schließlich:« –, diese kleine rhetorische Volte sich gönnend, sein Finale erreicht: »Fall 682, einunddreißigster Zehnter Zweitausendzwei, Spiropent N3, dreiundzwanzig Euro zehn.« Eine Ruhe wird da sein, ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher