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Was weiß der Richter von der Liebe

Was weiß der Richter von der Liebe

Titel: Was weiß der Richter von der Liebe
Autoren: Klaus Ungerer
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muntere JVA-Binnenexistenz einen niemals darüber hinwegtäuschen soll: Die man hier zu besuchen sich anschickt – ihre Leichtigkeit ist nur Schein, schwer lastet das Gewicht des Gesetzes auf ihnen, es wohnt im Innendruck der Luft des Gebäudes, in den Verschlussriegeln der Türen und den Gittern am Fenster.
    Die Besuchermarke, so schätzt der kregele Nachwuchsräuber Fierat Yildiz, 23 Jahre alt, die wiegt so zweihundert, dreihundert Gramm. Die kann man nicht einfach lässig in die Tasche stecken und vergessen, und kommen mehrere Besucher zum selben Delinquenten, so wird sie nebst den weiteren Barren auf den Gesprächstisch gelegt, hier in der Justizvollzugsanstalt Charlottenburg, und wenn dann nach einem Stündchen der allgemeine Aufbruchstrubel sich hebt und wenn einer der Besucher noch schnell wo hinwill, ist man als ordnungsliebender Gefängnisinsasse aufmerksam genug, die Besuchermarke rasch an sich zu nehmen und für den Freund zu verwahren. Und wie der dann aufder Toilette verschwunden bleibt und das Gewimmel im Besuchsraum aufgrund dienstintern irgendwie leider bis heute noch nicht ganz geklärter Zustände und Verwicklungen für den Moment eher noch anschwillt – da spürt man, als jugendlicher schwerer Räuber, der eine Lebenslust in sich trägt, spürt man, wie das Metallgewicht in der Hand und der Druck der Mauern einander einen Moment lang aufzuheben scheinen, und da stiebitzt man also auf die Schleuse zu, durch die soeben noch mehr Besuchervolk nachgeschoben worden ist, und im allgemeinen Erheben, Setzen, Herzen, Hinundherstreben geht man, wohin Menschen in Gefängnissen eben halt am liebsten gehen: zur Pforte, und an der Pforte sitzt dann Frau Höppner.
    Frau Höppner tut nur ihren Job. Der Job der 57-Jährigen geht so: Den von außen herbeistrebenden Personen sind Besuchermarken auszuhändigen und sind die Ausweispapiere abzunehmen, welche dann zu verwahren sind. Bei den von innen anrückenden Personen hingegen verhält es sich genau umgekehrt: Diese geben ihre Besuchermarken ab und erhalten statt ihrer dann das Leben in Freiheit zurück: ihre Papiere mit ihren Namen und Bildern drin. So auch am 19. Oktober 2007. Ordnungsgemäß legt die das Gefängnis besucht habende Person Hassan Hamad ihren Barren ab, ordnungsgemäß erhält sie ihre Papiere zurück, und da man ja Justizvollzugsbeamtin, aber kein Unmensch ist, behält man seine Bemerkung bezüglich augenscheinlicher Gewichtsveränderung nach Einblick ins Ausweispapier dann doch eher für sich. Schließlich, so wird die Justizvollzugsbeamtin sich später erinnern, habe der Herr Hamad, der da vor ihr stand, sich selbst, wie er im Ausweispapierzu bewundern war, ja prinzipiell doch geglichen wie ein Zwilling dem anderen. Und so geht er also hinaus, der Herr Hamad, und ein anderer, der ihm vielleicht sogar noch einen Tick ähnlicher sieht als er sich selbst, ein anderer sitzt noch auf dem Gefängnisklo.
    Wie das zugehen hat können? Wie dieser Herr Yildiz überhaupt hat bis zur Pforte hingelangen können? Welch ausgeklügelter Plan mit wie viel krimineller Energie hier wohl entworfen worden ist, um all den Sicherheitsmaßnahmen der Justizvollzugsanstalt Charlottenburg zu entkommen? Können Hamad und Yildiz den überhaupt selber entworfen haben? Hat nicht eher eine bewundernswerte Organisiertheit der Kriminalität hier sämtliche Riegel aufspringen und alles Wachpersonal weggucken lassen, muss hier nicht ein hochfunktionstüchtiger Geist Pate gestanden haben, um die Effizienz und die Gründlichkeit deutschen Beamtenwesens zu überwinden?
    Dies aufzuklären gestaltet sich heute leider in letzter Konsequenz als verzwickt. Als erste Zeugin hat der Richter Frau Höppner vor sich stehen, ebenjene, welche seinerzeit Herrn Hamad sicher erkannt und hinausgelassen hat, und da noch ein Disziplinarverfahren gegen sie läuft, klärt der Richter sie auf, höflich wie stets, dass sie jetzt also hier schweigen dürfe. Sie zeigt da Einsicht, hält es ganz gemäß Vorschlag und darf also gleich wieder heim.
    Als härtere Nuss präsentiert sich ihr Kollege Herr Suschka, zweiundfünfzig, der ebenfalls am fraglichen Tage diensthabend war und gegen den ebenfalls ein Disziplinarverfahren anhängig ist. Als umschlösse ihn nicht die Gesetzesschwere des Strafgerichtsvon Moabit mit aller Ziegeldicke des Nebengebäudes, so kommt er flott, fromm und frei herein – und scheint partout aussagen zu wollen. »Also, ich kann Angaben machen. Ich habe mir nix vorzuwerfen!« Mehrfach
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