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Was weiß der Richter von der Liebe

Was weiß der Richter von der Liebe

Titel: Was weiß der Richter von der Liebe
Autoren: Klaus Ungerer
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klärt ihn der Richter da über die Gefahren des Aussagens auf, er könne sich ja selber belasten; ob er nun aussagen wolle, sei seine eigene Entscheidung, die könne ihm das Gericht nicht abnehmen, hoffnungsvoll stößt er ins weiche Fleisch des immer irritierteren Zeugen nach: »Also, wenn Sie keine Aussagen machen wollen« …, »Ich habe ja auch eine Fürsorgepflicht« …, »Sie können sagen, Sie warten ab« …, und irgendwann schließlich, ein zäher Brocken aus offensiver eigener Unschuldsvermutung, gibt Herr Suschka dann doch auf. Und trollt sich ebenfalls heim.
    Ein weiterer damals Diensthabender ist leider seit dem Vorfall krank und nicht vernehmungsfähig. Der angeklagte 20-jährige Herr Hamad, der hier der Gefangenenbefreiung beschuldigt ist und gleich freigesprochen werden wird, er schweigt, denn er hat seinen Anwalt dabei. Gute Laune auch. Immer wieder huscht ein amüsiertes Grinsen über sein rundliches Gesicht mit dem gut gestutzten dunklen Vollbart. Dann kommt der Mann herein, der ihm fast wie ein Zwilling ähnlich sieht: ohne Vollbart. Mit kantigem Gesicht. Haken- statt Knubbelnase. Und dennoch voll verwechslungsfähig. Also, bei diesen Orientalen soll sich einer auskennen!
    Herr Yildiz kommt naturgemäß ohne Anwalt. Er ist ja hier als Zeuge geladen. In Handschellen fletscht er ein Bubengrinsen zu seinem angeklagten Moppelkumpel hinüber, der Ausflug ins Gerichtist eine willkommene Abwechslung von der U-Haft, in der er gerade wieder sitzt. Er mag ja Ausflüge gerne. Und Herr Yildiz, endlich einer, versucht nach bestem Wissen und Gewissen Licht ins Dunkel der Detailvorgänge zu bringen. Alles Ansinnen auf Zeugnisverweigerung wehrt er souverän ab, auch lastet auf ihm weniger arg eine Fürsorgepflicht: »Isch mach ’ne Aussage!«, hält er dem Gericht entgegen, das sich in sein Schicksal dieses Mal fügt und der Analyse des Jungräubers lauscht: Alles sei so weit ganz normal gewesen an jenem Tage, er habe Besuch von drei Herren aus seinem Freundeskreis gehabt, darunter auch Herr Hamad, und als die Besuchsstunde zu Ende war, da wollte Herr Hamad zur Toilette gehen. Da habe er dann Herrn Hamads Besuchermarke an sich genommen vom Tisch, damit da nichts durcheinanderkomme, und dann habe er ihm den Weg zur ihm bekannten Toilette gezeigt: Nichts deutete darauf hin, dass diese, in der Theorie der Dienstvorschriften, allein den Insassen vorbehalten ist; auch ließ die Tür auf dem Wege zur Erleichterung hin sich nicht anmerken, dass sie, im Reich der Theorie, hätte verschlossen sein müssen. Ja, und dann, sagt der Jungräuber, »genau in dem Moment haben die einen Fehler gemacht, die Beamten«.
    Dann nämlich kamen sie, noch ehe die alten Besuchergrüppchen letztgültig aufgelöst und ihre Mitglieder an den jeweiligen Herkunftsort verbracht worden waren, schon mit dem neuen Schwung Besucher herein – welche ihrerseits nicht ahnten, somit am nächsten Verstoß gegen die Dienstvorschriften beteiligt zu sein. Nun also, und da mag die Fantasie ein bisschen mitspielen, seien »achtzsch Leute drin« gewesen, alle Türen geöffnet – undwas für ein Kerl und Schlitzohr wäre man da, den Freiheitsbarren in der Hand, wenn man nicht wenigstens versuchsweise und aus Jux den Vorstoß zur Ausgangsschleuse versucht hätte? Er habe sich noch von seinen anderen Besuchern verabschiedet, sagt Herr Yildiz, dann sei er runter zum Ausgang, wo er die Besuchermarke abgegeben und ein Papier des Ausländers ungeklärter Nationalität Hamad retour erhalten habe. Denn ohne Papier geht ja keiner wieder hinaus aus der Justizvollzugsanstalt Charlottenburg.

 

    Beim Richter ist die Wissbegierde wach, und malerisch fallen in seinem Gesicht belustigte Neugier und Zornesröte in eins: Ob er denn überrascht gewesen sei, fragt er Herrn Yildiz, dass das so einfach ging? Klar, sagt Herr Yildiz da, das ist doch hier ein Knast, denkt man da, da muss ja ’ne Sicherheitsstufe herrschen! Bei mir, sagt Herr Yildiz, ist das ja nicht so schlimm. Aber wenn da einer einfach rausspazieren könne – das sei schon komisch.

BÖTZINGEN SOLL MEIN BEBEN SPÜREN
    Herr Uth sieht sich am Ende. Herr Uth sitzt im leeren Haus, das ihm und seiner Noch-Frau gehört, er hat viel Zeit, um nachzudenken. Wie es so weit kommen konnte, zum Beispiel. Wie aus ihm, der er doch Büroleiter bei einer Versicherung gewesen ist, diese Existenz werden konnte: ein Nichts in einer Leere, einer von denen, die nun von Staat, Arbeitgeber und Frau auf die Müllkippe des
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