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Zwillinge der Finsternis

Zwillinge der Finsternis

Titel: Zwillinge der Finsternis
Autoren: Marco Sonnleitner
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Der Albtraum
    »25 Dollar zum Ersten, 25 zum Zweiten und ...«, der Auktionator machte eine kurze Pause und ließ seine Augen durch den holzvertäfelten Salon schweifen, »25 Dollar zum Dritten!«, verkündete er schließlich und knallte den Hammer auf die Platte seines Stehpults. »Die beiden Stühle gehen an den Herrn dort hinten mit dem beeindruckenden Schnurrbart. Gratuliere!«
    Titus Jonas zwirbelte zufrieden und auch ein bisschen stolz seinen mächtigen, schwarzen Schnauzbart, als sich einige der Anwesenden nach ihm umdrehten. Dann wurde aber schon der nächste Gegenstand, der nun zum Verkauf kommen sollte, hereingebracht, und alle wandten sich wieder Mr Peastone zu. Der trotz seiner schütteren Haare noch recht jugendlich wirkende Notar, dem die Versteigerung des Nachlasses von Horace Vanderbilt übertragen worden war, rückte seine schmale Nickelbrille zurecht, räusperte sich kurz und gab dann lautstark bekannt: »Als Nächstes sehen Sie hier, meine sehr verehrten Damen und Herren, einen wunderschönen, mit echtem Sterlingsilber überzogenen Toilettenpapierhalter, der dereinst in Mr Vanderbilts WC hing. Das Anfangsgebot liegt bei 150 Dollar.«
    »150 Dollar für einen Klopapierhalter!«, raunte Justus seinem Onkel zu. »Wer braucht denn so was?«
    »Ein reicher Hintern«, antwortete Titus trocken und zuckte gleichgültig die Achseln. Silbernes Klogeschirr interessierte ihn nicht.
    Seit seine Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen waren, lebte Justus bei seinem Onkel und seiner Tante. Beide betrieben ein florierendes Gebrauchtwarencenter in Rocky Beach, wo man all das fand, was Titus bei Geschäftsauflösungen, Sperrmüllsammlungen, Zwangsverkäufen und so weiter preisgünstig ergattern konnte.
    Diesmal hatte es ihn zu einer Haushaltsauflösung in einer prächtigen Villa verschlagen. Sie lag etwas außerhalb von Rocky Beach einsam in einem kleinen Tal zwischen den küstennahen Bergen. Die Vanderbilts, eine hoch angesehene Familie aus Rocky Beach, hatten hier gewohnt. Mit Horace Vanderbilt hatte diese Familie jedoch ihren letzten Sprössling verloren, als der vor Kurzem im stolzen Alter von 98 Jahren ankündigungslos einfach vom Stuhl gekippt und danach nie mehr aufgestanden war. Und da keine Erben vorhanden waren, hatte Mr Vanderbilt schon vor Jahren seinen Nachlassverwalter und Notar Alfred Peastone zu sich kommen lassen und ihn angewiesen, den ganzen Ramsch zu verhökern, wenn er in die Grube gefahren sei – Mr Vanderbilt liebte es, sich derb auszudrücken –, und den Erlös dann dem Verein der anonymen Alkoholiker zu spenden.
    Titus hatte gehofft, bei der zu diesem Zweck veranstalteten Versteigerung das eine oder andere Schnäppchen machen zu können. Tatsächlich hatte er inzwischen außer den beiden viktorianischen Stühlen, die aber sicher nicht echt waren, schon eine alte Blumenvase, zwei Bettvorleger aus Lamafell, einen Türklopfer und eine Kiste mit alten Büchern erstanden. Und da Titus sich nicht sicher gewesen war, wie viel er von hier fortschaffen würde, hatte er seinen Neffen mitgenommen, der ihm beim Transport helfen sollte.
    Justus war zwar nicht unbedingt der geborene Möbelpacker, sondern mit seiner etwas fülligeren Statur eher dafür geeignet, auf dem Sofa zu liegen , anstatt selbiges herumzuschleppen. Aber mit solchen Arbeiten verdiente er sich sein Taschengeld, und außerdem waren sie Teil einer Abmachung zwischen ihm und Titus. Dafür, dass sein Onkel ihm einst einen alten Campinganhänger auf dem Schrottplatz überlassen hatte, musste ihm Justus ab und zu zur Hand gehen.
    Und genau in diesen Campingwagen wünschte sich Justus im Moment sehnlichst zurück. Die Auktion langweilte ihn allmählich, und er dachte schon voller Schrecken an die bevorstehende Plackerei, wenn es galt, die diversen Stühle, Vasen, Tische, Kisten und den ganzen anderen Trödel aufzuladen. Dieser Wohnwagen war nämlich kein gewöhnlicher Wohnwagen. Es war die Zentrale ihres Detektivunternehmens. Er und seine Freunde Peter Shaw und Bob Andrews hatten sich hier über lange Zeit und mit sehr viel Mühe eine Art Büro eingerichtet, das bei jedem ihrer Fälle die Schaltstelle ihrer Ermittlungen war. Hier liefen die Fäden zusammen, von hier aus wurden die Nachforschungen gestartet.
    Ein Telefon mit Faxanschluss und Anrufbeantworter sowie ein Computer mit Internetzugang gehörten dabei genauso zum Inventar wie ein Kopierer, ein winziges Labor und sogar eine kleine Dunkelkammer zur Entwicklung von Filmen.
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