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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd
Autoren: Susanne Betz
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1
    I n den meisten Schüsseln schwammen wieder
bleich gekochte Rüben. In anderen sackte fahler Kohl in sich zusammen.
Friederike hatte es geahnt. Nur auf einer Platte dampfte ein
Wildschweinbraten, garniert mit säuerlich in die Nase stechenden
Kaidaunen. Wie jeden Mittag genügte Friederike ein Blick, um die Tafel
abzuschätzen. Sofort wusste sie, wie viel jedes der Kinder erwarten
konnte. An diesem Julimorgen des Jahres 1728 hatte ihr allerdings ein
Lakai etwas krümeliges Brot aus der Hofbäckerei zugesteckt, so dass ihr
Magen nicht so leer war wie sonst. Ihr dicker, sechsjähriger Bruder
August Wilhelm, der immer neben dem Vater sitzen durfte, sagte
unverdrossen fröhlich wie einen Abzählreim das Tischgebet herunter. Der
König küsste sein Lieblingskind auf die breite Stirn und legte ihm
eigenhändig ein Stück Fleisch auf den Teller. Beide begannen zu
schmatzen.
    Friederike spürte einen Rempler an ihrer linken Seite, und
schon schob Lottine ihr die heiße Bratenportion der ältesten Schwester
Wilhelmine in die Hand, die wie üblich unter dem Tisch an den Bruder
Friedrich weitergegeben werden sollte. Wenn der Vater nur nichts merkte.
    Aber heute verzog sich sein massiges Gesicht nicht wie sonst
so oft gleich zu Beginn des Essens zu einer finsteren Grimasse.
Wohlwollend schaute der König auf seine Kinderschar, die wie bei einer
Bürgersfamilie mit ihm und der erneut schwangeren Königin ohne großes
Zeremoniell an einem nur mit Zinntellern gedeckten Tisch speiste.
Friederike wusste, dass ganz Europa über diesen Brandenburger
Emporkömmling und seinen kümmerlichen Hof spottete. Ihre Mutter, die
Tochter Georgs I. von England, sagte es ihr oft genug. Nicht nur, dass
er selbst den wöchentlichen Speiseplan für Schloss Wusterhausen
zusammenstellte und nur deftige Hausmannskost – noch dazu viel
zu wenig – auftragen ließ, er feilschte auch um jeden Kreuzer,
damit er noch mehr Monturen für noch mehr Soldaten kaufen konnte. Am
Dresdner Hof dagegen wurden Schwalbennester aus China zu Suppen
verkocht, um für die Sensation eines einzigen rauschenden Fests zu
sorgen. Man trug dort Schwindel erregend hohe Türme aus Zuckermasse und
Marzipan auf, über die man neuerdings auch in Versailles redete.
Friederike hatte im Gegensatz zu den kleineren Geschwistern immerhin
schon Konfekt gegessen, aber erst nachdem sie dreizehn geworden war und
zu den Empfängen ihrer Mutter zugelassen wurde. Vor deren Boudoir und
Spieltischen musste nämlich auch der Geiz des Vaters strammstehen.
    »Ickerle, hör jetzt gut zu«, sagte der König und rülpste nach
einem großen Schluck Bier.
    »Mein liebes Ickerle, du machst deinen Vater
nach seinem vielen Kummer mit der englischen Kanaille heut zu einem
frohen Menschen, der sich endlich wieder an Gottes hellem Tag freuen
kann.«
    Die Lakaien blieben, die Vorlegegabeln noch in der Luft,
reglos stehen. Die Königin riss die Augen auf und presste die rechte
Hand auf ihren gewölbten Leib. Wilhelmine, der das Schimpfwort gegolten
hatte, suchte panisch den Blick des Kronprinzen, an dessen Hals in
Sekundenschnelle rote Flecken zu leuchten begannen.
    Friederike legte langsam Messer und Gabel zur Seite und
schaute den Vater über den Tisch hinweg stumm an. Sie fror vor Angst,
aber man sah es ihr nicht an.
    Der König bekam, noch bevor er weitersprach, feuchte Augen.
Der Mann, der seine Töchter und Söhne mit Stuhlbeinen schlug, war gern
und oft gerührt.
    »Ich bin mir heut Morgen mit Hofmeister Herrn von Bremer, der
die Verhandlungen für die verehrte Ansbacher Markgräfin führt, über
alle Modalitäten und auch das Geld einig geworden.«
    Der schwere Mann im schlichten dunkelblauen Uniformrock eines
Obersten schnaufte noch einmal schwer ein und aus und fuhr dann fort.
»Der Ehekontrakt kann nun also als ein schönes Stück Einigkeit unter
uns Brandenburgern fixiert werden. Unser Haus muss wieder
zusammenwachsen und Preußen im Süden des Reiches Ansehen gewinnen. Und
du, Ickerle, sollst mir den ersten Enkel schenken …«
    Der König verstummte, weil ihm jetzt die Tränen so heftig aus
den Augen quollen, dass er sich in seine Serviette schnäuzen musste.
    Ein pfeilspitzer Blick der Mutter durchbohrte Friederikes
Gefasstheit. Mit Mühe hielt sie auf ihrem Stuhl die Balance. Ihre Hände
klammerten sich an die Tischplatte. Ansbach also. Markgräfin von
Ansbach. Friederike sagte nichts. Im Mund lag ihr ein Stück ledriger
Kohl, und sie hatte bislang noch kein Fleisch bekommen.
    »Ein guter
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