Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd
Autoren: Susanne Betz
Vom Netzwerk:
ausgelassenen Mädchen in ihrem
Alter an die Hand genommen oder vielleicht sogar mit ihm gesprochen.
Aber solch einen Umgang hatte sie nie geübt, und sie fühlte sich wie
ein Insekt, das man aus dem Sand geklaubt und in eine wuchernde
Graslandschaft versetzt hatte. Schnell suchte sie deshalb Zuflucht
hinter dem breiten Rücken eines jungen Mannes, der wie ein Russe,
vielleicht auch wie ein Türke aussah. Als sich dieser jedoch zu ihr
umdrehte und sie zu einem Branntwein einlud, rückte sie rasch ein Stück
von ihm ab an die Wand. Die Montbail verlor sie dabei aus den Augen.
    Für die Vorführung war schon alles
vorbereitet. An der Stirnseite des Schankraums hatte man ein Podest
gezimmert und davor, quer von Wand zu Wand, einen prächtigen roten,
allerdings nicht ganz sauberen Vorhang gespannt. Dieser beulte sich
immer wieder aus und ließ erahnen, dass dahinter schon einiges los war.
Die Besucher des ›Weißen Elephanten‹, Alte wie Junge, angesehene
Kaufleute mit ihren Familien und müde Prostituierte, gerieten außer
Rand und Band und stampften und klatschten so laut, dass die
Schankmädchen unter großem Gelächter ihre Bierkrüge verschütteten.
    Friederike hatte von dem Ereignis ganz
nebenbei durch ihren Bruder Friedrich erfahren, der sich freilich
beklagte, dass solche Narreteien immer noch ihren Weg über die Grenzen
nach Preußen fanden, nicht aber mehr französische Schriften und
Gelehrte oder zumindest französische Tanzmeister. Seitdem dachte sie
unentwegt über Möglichkeiten nach, die Menagerie aus Paris zu sehen.
Auch deshalb hatte sie so schnell in die Verlobung eingewilligt.
Zusätzlicher Ärger mit dem Vater oder gar Stubenarrest hätten ihre
Pläne zerstört. Die vergangenen Nächte, als klar war, dass sie genügend
Geld für den Eintritt und vor allem den Kutscher beisammenhatte,
schlief sie wenig. Die Aussicht auf einen zimtfarbenen Wilden aus den
Wäldern Französisch-Amerikas ließ alles andere unwichtig werden, selbst
den blond gelockten Prinzen, dessen Porträt inzwischen aus Ansbach
eingetroffen war.
    Als der Vorhang ruckartig zur Seite ging, erstarrte die zweite
Tochter des preußischen Königs vor Enttäuschung. Auf der Bühne war
nichts, aber auch gar nichts von dem zu sehen, was sie erwartet hatte
und für das sie ein solches Risiko eingegangen war. Stattdessen
erblickte sie nur, was sie schon längst aus dem verstaubten
Raritätenkabinett ihres verstorbenen Großvaters kannte: Auf einem
langen Holztisch reihte sich ein Glaskolben, gefüllt mit menschlichen
und tierischen Missgeburten, an den anderen. Zum Erbarmen gekrümmte
Föten krallten ihre korallenrosa Finger an die Scheiben. Eine Katze,
aus deren Nacken ein zweiter Kopf mit aufgerissenem und spitz bezahntem
Maul wuchs, glotzte aus seinem Spiritussaft das Publikum an.
    »Mesdames et messieurs , das ist die abgetriebene
Frucht«, zischte der Conférencier mit bedeutungsvoll abgesenkter
Stimme, »einer vor fünf Jahren in Lyon verbrannten Hexe, die mit jedem
Jesuitenpfaffen in vierzig Meilen Umkreis Unzucht trieb, schlimmer als
die Huren Babylons.«
    Die Menschen um Friederike stöhnten auf.
    »Und noch etwas darf ich Ihnen, aber nur Ihnen, weil Sie
gottesfürchtige und unerschrockene Leute sind, verraten«, säuselte das
spindeldürre Männlein weiter, von dem Friederike vermutete, dass es gar
kein Franzose, sondern ein gallisch radebrechender Sachse war, »das
Geschöpf der Hölle da zuckt jedes Mal bei Vollmond so wild wie der
Leibhaftige beim Vaterunser aus dem Mund einer Jungfrau.«
    Während sich die anderen Zuschauer bekreuzigten oder nach dem
einen oder anderen Talisman in der Tasche griffen, beugte sich
Friederike weit vor, konnte aber nur ein kleines, bernsteinfarbenes
Fleischklümpchen mit sanft geschlossenen Augenlidern erkennen, das in
seinem Glasbehälter träumte.
    Als Pausenfüller wurde eine Runde Branntwein
ausgeschenkt. Eine beleibte Frau vor ihr in der Tracht der Wäscherinnen
wechselte den Platz, so dass Friederike auch wieder die Montbail
entdeckte, die sich gerade von einem Chevalier ein Glas reichen ließ
und lachend die Zähne blitzen ließ. Der Tisch wurde von der Bühne
getragen, und eine Familie verwachsener Zwerge mit vorquellenden Augen
in geradezu höfischer Kleidung marschierte auf. Die Eheleute tanzten
zum Spiel einer Geige, die winzigen, kugelrunden Kinder vollführten
Purzelbäume und bildeten schließlich eine Art Pyramide. Voller Zorn
dachte Friederike an ihr gutes, unsinnig verschwendetes
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher