Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd
Autoren: Susanne Betz
Vom Netzwerk:
Geld.
    Dass mittlerweile auch noch eine Dame mit einem Kropf, so
prall wie ein Kuheuter kurz vor dem Melken, in Begleitung eines
Feuerschluckers auftrat, nahm sie nur noch am Rande wahr. Als ihr der
junge Russe, der vielleicht auch ein Türke war, wieder seine
Branntweinflasche hinhielt, lehnte sie nicht ab. Die blauen Flammen,
die auf der Bühne hüpften, verschwammen in ihren Tränen.
    »Ist dem Fräulein nicht wohl, will es sich ausruhen? Ich
logiere nur ein paar Schritte von hier. Kommen Sie mit«, sagte der
junge Mann mit der Branntweinflasche und legte den Arm um ihre Taille,
wie es vor Beginn der Vorstellung auch schon andere Männer mit den
Mädchen gemacht hatten.
    Wie freundlich und hilfsbereit die Menschen hier doch sind,
dachte Friederike und antwortete ihm höflich: »Ich will Ihnen keine
Mühe machen. Es geht mir schon viel besser.«
    Was auch tatsächlich stimmte, denn sie hatte zum dritten Mal
von seinem Branntwein getrunken. Der junge Mann drückte sich jetzt so
nah an sie, dass sie den Trommelwirbel nur gedämpft vernahm.
    »Die wilden Rothäute aus Französisch …«, plärrte der
Conférencier. Friederike stemmte ihre Hände mit aller Kraft in den
schmalen Spalt zwischen sich und dem russischen Türken und pflügte sich
durch die Menge. Dann stand sie an der Rampe zur Bühne, kerzengerade
und wach wie nie zuvor in ihrem Leben.
    Es waren sogar drei Wilde. Zwei schmächtige in voller Bemalung
und mit einem Band um den Kopf, an dem lange blaue Federn
herunterhingen. In ihrer Mitte stand ein größerer, jüngerer Mann. Er
schwang ein Kriegsbeil durch die Luft und war bis auf einen Lederschurz
unbekleidet. Gebannt starrte Friederike ihn an.
    Seine Brust war blank wie die feinste Kommode aus Kirschholz
und gänzlich unbehaart. Seine Brustwarzen saßen wie Rosenknospen auf
den fettlosen Rippen. Eine kleine Kopfbewegung brachte sein
blauschwarzes Haar zum Zittern, und auf Geheiß seines Dompteurs drehte
sich der Wilde um, damit man das Spiel seiner Rückenmuskeln sehen
konnte.
    Der Duft von geraspelten Orangenschalen, ausgelassenem
Gänsefett und ein wenig auch von warmen Pferdeäpfeln wehte zu ihr
hinunter.
    Aus dem Gemurmel des Wirtshaussaals heraus grölte eine
Frauenstimme: »Für mein Geld will ich auch sehen, was er drunter zu
bieten hat.«
    Eine andere überschrie sie noch: »Vielleicht mehr als die
Burschen hier, dann soll er gleich bleiben und uns den Winter versüßen.«
    Der Wilde verzog keine Miene, aber der Conférencier wurde
nervös. Die geilen Weiber drohten, ihm die Vorstellung zu sprengen.
Also stellte er sich eilig an einen hölzernen Pfahl, ließ sich von den
beiden Indianern im Federschmuck fesseln, während der junge Wilde vom
Stamm der Huronen mit einer einzigen Bewegung, die die Luft zum Sirren
brachte, sein Beil so schleuderte, dass es einen Fingerbreit über dem
gepuderten Kopf im Holz stecken blieb. Die folgenden Schilderungen des
Conférencier von noch an der Brust ihrer Mutter skalpierten Säuglingen,
niedergebrannten Dörfern weißer Siedler und blutrünstigen Zeremonien
ließen die Zuschauer vor Schreck erschaudern.
    Friederikes Augen erforschten den Körper des
Huronen, der jetzt wieder ruhig in der Mitte der Bühne stand. Was
befand sich unter dieser wie ein Blasebalg gespannten Haut? War er je
zur Ader gelassen worden und wenn ja, welches Blut war hervorgequollen?
Mochte es dicker, röter sein als das ihre oder vielleicht von ganz
anderer Farbe? Überhaupt, wie viele Eimer Blut würde man von einem
Menschen zusammenbekommen? Jetzt sah sie, dass er durchatmete und seine
Schenkel und Waden straffte. Wollte er davonlaufen? Aber wohin? Sie
verstand ihn gut. Sie würde immerhin bald nach Ansbach flüchten können.
Womöglich versteckte die Haut eines Huronen noch ganz andere
Lebensfunktionen und Säfte. Es wäre nur logisch, dass er für das Leben
in den Wäldern Amerikas andere Fleisch- und Muskelschichten brauchte
als ein Mensch in Berlin, London oder Dresden.
    Interessant wäre natürlich auch, wenn man zimtfarbene und
schwarze und auch getaufte weiße Menschen miteinander paarte und dann
die Veränderungen von Haut, Gliedmaßen und womöglich sogar Organen von
Generation zu Generation beobachtete. Obwohl das Ergebnis vielleicht zu
wünschen übrig ließe. Dieser Hurone hier kam ihr jedenfalls schön und
vollkommen wie ein göttliches Werk vor. Und das, obwohl er von Gott
nichts wusste. Es war ihr allerdings nicht klar, ob man Gott für die
Erschaffung eines Ungläubigen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher