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Die Schrift in Flammen

Titel: Die Schrift in Flammen
Autoren: Miklós Bánffy
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I.
    Ein schöner, sonniger Nachmittag Anfang September. Das Licht ist so strahlend, dass die eine oder andere Lerche, vom Glanz trunken, immer wieder auffliegt, hinauf in den gleißenden Himmel, dort für einige Augenblicke mit ihren kleinen Schwingen schlägt, um dann aus der Höhe Kopf voran hinunterzutauchen, über dem Boden vorbeizustreichen und abermals aufzusteigen – stets von neuem. Sie glaubt wohl, es sei immer noch Sommer.
    Doch ist tatsächlich alles noch grün. Die gelben Streifen der Stoppelfelder werden von der wuchernden Vogelhirse mit grünlicher Glasur überzogen, von kleinen, zitternden, resedafarbenen Ähren bestreut, unter denen hier und dort ein verspäteter Klatschmohn sich karmesinrot emporstreckt.
    Auf den sanften Hügeln den Maros entlang, die sich auf der einen Seite bis zur breiten Landstraße hin senken und rechts, auf der anderen, jenseits der Wiese, sich bauchig blähen – auch dort sind die vielen Obstbäume und der zuoberst den Grat krönende Wald grün. Noch meldet nichts den nahenden Herbst, nur die überreif weichen Früchte der Spindelbäume heften orange Tropfen in das leicht welkende Laub, und einzig die Blutbuchensträucher spielen ins Rötliche.
    Die Landstraße zwischen der morastigen Wiese und den Hügelflanken ist schneeweiß vom Staub, der am Rande des Straßengrabens auch den Hasenlattich und die Melde überstreut, die Kelchblätter der Dorngewächse gefüllt und die sich flach entfaltenden Schaufeln der Disteln bedeckt hat.
    Heute ist Sonntag, der Verkehr auf der Straße war zur Mittagszeit dennoch groß. Viele Wagen strebten eilig Vásárhely zu, unter ihnen auch viele ratternde Einspänner-Bauernfuhrwerke. Denn es gab heute einen großen Tag in der Stadt, ein bedeutendes Ereignis: Es fand ein Pferderennen statt. Dorthin waren alle unterwegs gewesen und ließen große Staubwolken hinter sich aufsteigen.
    Nun herrscht Stille. Jetzt, am Nachmittag, fährt ein einziger Wagen, eine von drei Pferden gezogene Mietkutsche, auf dieser Straße, die von Marosvásárhely ostwärts über den Vácmán nach Balavásár führt und nach der Abzweigung links gegen Nyárádszereda.
    In der alten Droschke des Fiakers von Vásárhely sitzt, ruhig zurückgelehnt, ein junger Herr: Bálint Abády, ein schlanker Mann von mittlerem Wuchs. Er trägt einen langen, rohseidenen, bis zum Kinn zugeknöpften Staubmantel. Den Hut hat er abgelegt, einen jener breitrandigen Filzhüte, die damals nach dem Burenkrieg in Mode gekommen waren. In sein gelocktes, dunkelblondes Haar steckt der Sonnenschein rötliche Lichter. Mag er auch ein Blondkopf sein mit hellen Augen, so ist er doch ein charakteristisch östlicher Menschentyp: eine leicht zurückweichende, stark gewölbte Stirn, breite Backenknochen, sich nach oben ziehende Augenwinkel.
    Er kommt nicht vom Pferderennen, sondern von der Eisenbahnstation und ist unterwegs zu Jenő Laczók in Vársiklód, wo es nach dem Wettrennen eine große Zusammenkunft und am Abend einen Ball geben wird.
    Er war mit dem Drei-Uhr-Zug von Dénestornya angekommen. Er reiste mit dem Zug, obwohl seine Mutter ihm eines ihrer Gespanne angeboten hatte. Der junge Mann hörte aber aus ihrer Stimme heraus, dass sie ihr Angebot zwar guten Herzens machte, sich aber trotzdem gefreut hätte, sollte er die Reise nicht mit den ihr so teuren Pferden machen, die sie in ihrem alten, berühmten Gestüt alle selber gezüchtet hatte und so liebte, als wären auch sie alle ihre Kinder. Er wusste wohl, wie sehr sie um sie besorgt war, sie vor Strapazen und Erkältung, vor fremden Ställen und der Bösartigkeit anderer Pferde behütete. Da er also das Gemüt der Mutter kannte, sagte er ihr, er nehme lieber den Personenzug, es wäre von hier, von Dénestornya, zu viel für eine Kutschenfahrt über Vásárhely hinaus – wo ein Pferderennen im Gange ist – bis zum Feld von Szent-György, das sei wohl um die fünfzig Kilometer, von dort dann wieder zurück in die Stadt und hinaus zu den Laczóks, auch das komme auf zehn bis fünfzehn Kilometer – man müsste ausspannen, in einem Wirtshaus füttern lassen – nein, das lohne sich nicht, er nehme eher den Personenzug am Nachmittag. So werde er schon früh zur Stelle sein, und bestimmt würden sich auch Politiker dort versammeln, die er kennenlernen und mit denen er manches besprechen wolle.
    »Gut, mein Sohn, wenn dir das lieber ist, obwohl du weißt, nicht wahr, dass ich dir die Pferde gern gegeben hätte«, erwiderte die Mutter, doch sichtlich
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