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Wolfstage (German Edition)

Wolfstage (German Edition)

Titel: Wolfstage (German Edition)
Autoren: Manuela Kuck
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1
    Bis zu jenem Abend im Juli hätte er auf eine entsprechende
Frage glatt erwidert, dass sich die Dinge gut für ihn entwickelten und nichts,
aber auch rein gar nichts darauf hinwies, dass es zukünftig anders werden
könnte. Und dabei hätte er gegrinst und sich einen Joint gedreht. Eine richtig
dicke Tüte.
    Mit Anfang zwanzig hatte Robin festgestellt, dass es von Vorteil
war, wenn man oft übersehen wurde und sich flink und unauffällig zu bewegen
verstand. Ideale Voraussetzungen für die Arbeit eines Dealers. Gelernt hatte er
sein Handwerk auf der Straße, inzwischen arbeitete er mit wenigen verlässlichen
Partnern in Polen und der Tschechischen Republik sowie Kontaktleuten in
Frankfurt, Berlin, Magdeburg und Wolfsburg zusammen und betrieb seine Geschäfte
mit einer Souveränität, die ihn manchmal selbst erstaunte. Er verdiente
genügend Geld, um bequem über die Runden zu kommen und seinen eigenen
Drogenkonsum zu finanzieren.
    Nachdem er vor zwei Jahren bei einem Treffen mit seinem Kontaktmann
in Wolfsburg beinahe geschnappt worden wäre und auf der Flucht seine gesamte
Ware zurücklassen musste, hatte Robin sich angewöhnt, seine Vorräte in einem
abseits gelegenen Unterschlupf in der Nähe des Velpker Steinbruchs zu
verstecken.
    Der Ort war ideal – so dachte er jedenfalls –, als er ihn
eines Tages während einer Radtour durch den Drömling und die »Velpker Schweiz«
zufällig entdeckte. Robin war immer wieder fasziniert von der
abwechslungsreichen und friedvollen Gewässer-und Waldlandschaft, die sich rund
um die stillgelegten Steinbrüche entwickelt hatte. Trotz ihrer Beliebtheit als
Naherholungsgebiet waren insbesondere abseits der Hauptwege kilometerlange
Wander-und Radtouren möglich, bei denen man stundenlang keiner Menschenseele
begegnete.
    Das kleine, dem Verfall preisgegebene Lagerhaus – wohl ein Überbleibsel
aus der Zeit, als noch Sandstein abgebaut wurde – verbarg sich inmitten
einer dicht stehenden Baumgruppe, wo es von Weitem nicht zu sehen war und aus
der Nähe kaum Aufmerksamkeit erregte, weil es mit seiner Umgebung verschmolzen
schien. Es hatte längst Moos und Schimmel angesetzt und bot nur noch einigen
Tieren Unterschlupf. Im hinteren Bereich des Gebäudes schloss sich ein lang
gestreckter klappriger Holzschuppen an, in dem uraltes Mobiliar vergammelte,
daneben ruhten längst vergessene Gleise in einem bunten Pflanzenbett.
    Wenn er spät von einer Tour zurückkehrte, stellte Robin seinen
Passat an der Neuhäuser Straße ab und fuhr mit dem Klapprad, das er stets im
Kofferraum dabeihatte, in schummriger Dunkelheit zu seinem Häuschen, wie er es
bald nannte, um auf dem Dachboden zu übernachten und mit dem ersten Morgenlicht
wieder aufzubrechen – im Rucksack lediglich die Ration für seinen nächsten
Kontaktmann.
    Im letzten Frühjahr aber war es dann plötzlich und unerwartet vorbei
gewesen mit der einsamen Idylle. Von einem Tag auf den anderen hatte eine
Gruppe junge Männer in unregelmäßigen Abständen das Haus besetzt. Robin war
rechtzeitig auf sie aufmerksam geworden, als er eines Abends die Überreste
eines Lagerfeuers entdeckt hatte. Daraufhin wäre es mit Abstand das Klügste
gewesen, sofort das Weite zu suchen, aber Robin, sonst grundsätzlich ein Freund
des unauffälligen und raschen Rückzugs, zögerte zu seiner eigenen Verwunderung.
Vielleicht hielt ihn die Neugier ab, oder seine Bequemlichkeit, vielleicht
wollte er sein Domizil auch nicht so ohne Weiteres wieder aufgeben. Jedenfalls
entschied er, vorerst zu bleiben und einer gemeinsamen Nutzung, von der
natürlich nur er etwas wusste, eine Chance zu geben. Er konnte ja auch nicht
ausschließen, dass die Gruppe genauso schnell wieder verschwinden würde, wie
sie aufgetaucht war.
    Von da an näherte er sich dem Häuschen nur noch mit größter
Vorsicht, achtete darauf, bei seinen Besuchen keinerlei Spuren zu hinterlassen,
und beobachtete die Eindringlinge bei einigen ihrer Zusammenkünfte aus sicherer
Entfernung oder von einer winzigen Dachluke aus.
    Meist waren es drei bis sechs Männer, deren Alter er von Anfang
zwanzig bis circa Mitte dreißig schätzte; manchmal war einer dabei, der sich
als Anführer aufspielte. Robin verwarf seine anfängliche Vermutung, sie würden
sich an diesem versteckten Ort treffen, um zu kiffen oder andere Drogen zu
konsumieren, schnell wieder. Dazu waren die Typen zu alt und zu erwachsen. Ein
Dreißigjähriger hatte es wohl kaum nötig, sich im Wald zu verstecken, wenn er
einen Joint
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