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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt
Autoren: P Anders
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eigentlich nur sagen müsste: » Legen Sie das Zimmer ganz trocken, dann gibt’s auch keine Silberfischchen…«, nein, also: Richtig gern mach ich das nicht.

29. Darum
    Früher war alles selbstverständlicher als heute. Früher, als ich bei der Feuerwehr angefangen habe, war ich neugierig auf alles, was irgendwie mit Rechtsmedizin zu tun hat. Das war praktisch das Sahnehäubchen auf meinem Beruf, ich habe nicht nur Brände gelöscht oder Verletzte befreit oder Keller ausgepumpt, sondern auch noch von aufregenden Ereignissen erfahren, irgendwo zwischen Katastrophenfilm und Krimi. Die Fälle konnten mir nicht gruselig genug sein. Sobald ich eine Wohnung, eine Tür geöffnet habe, war ich ganz ungeduldig darauf, herauszufinden, was dahinter lag, was mich erwartete, da bin ich rein, auch wenn es noch so sehr darin stank, egal, wer oder was darin wie lange gelegen hat – das war, als ob im Kino das Licht ausgegangen wäre und der Film begonnen hätte. Doch heute gibt’s immer mehr Tage, an denen ich mich bei Leichenfundorten konzentrieren muss, damit mir das, was auf mich zukommt, nichts mehr ausmacht. Ich muss mir richtiggehend klarmachen, dass ich die bevorstehende Aufgabe beherrsche und sie schon oft gemacht habe und dass das mit dem Ekel nur eine Kopfsache ist. Ich reagiere jetzt empfindlicher als früher, ich muss mich immer öfter richtig zusammenreißen, damit ich mich nicht übergeben muss. Normalerweise würde man ja das Gegenteil erwarten, dass der Mensch eher abstumpft. Vielleicht ist das bei manchen Menschen auch so, ich jedenfalls werde immer empfindlicher, je länger ich den Job mache.
    Natürlich sind nicht regelmäßig alle 14 Tage Leichenfundorte zu reinigen. Da passiert mal wochenlang nichts, und dann kommen vier Leichenfundorte hintereinander. Und wenn man eine Woche lang in dieser Welt voll Gestank arbeitet, wenn man Kot aufwischt, vermischt mit Körperbestandteilen von Menschen, die nicht mehr leben wollten oder die einfach wochenlang irgendwo lagen, weil es ihrer Umgebung völlig egal war, ob sie existieren oder nicht, jeden Tag die Spuren des tiefsten Elends beseitigt, mit der Aussicht, dass es am nächsten Tag genauso weitergeht, nur noch deprimierender, noch stinkender, wenn man schon morgens spürt, wie die Übelkeit im Hals aufsteigt, dann fragt man sich schon manchmal, warum man das macht. Wenn einem jeden Tag schlecht ist, dann ist das doch nicht normal. Da würden doch andere Leute kündigen. Also: Warum schmeiß ich es nicht einfach hin? Die Antwort darauf kann man nicht in einem Satz geben. Es ist eine Mischung verschiedenen aus Gründen.
    Erstens: Ich bin neugierig. Ich bedaure noch immer jeden Einsatz, bei dem ich nicht dabei bin. Ich will überall wissen, was passiert ist. Ich will ganz vorne dran sein, da, wo die Action ist. Hierin unterscheide ich mich kaum von den meisten anderen Feuerwehrleuten. Ich will derjenige sein, der an der Rettungsschere steht und die Verletzten aus irgendwelchen Blechwracks rausschneidet, und nicht der Kollege, der die langweiligen Trümmer wegträgt. Und ich will auch derjenige sein, der an den Tatorten die Überreste entfernt. Ich will sehen, was passiert ist.
    Zweitens: Wir sind harte Hunde. Wir sind Machos. Wir geben nicht auf, weil uns schlecht ist. Wir sind überzeugt, dass wir das alles hinkriegen. Und blass werden gilt nicht. Wir definieren uns auch zu einem großen Teil über das, was wir schon alles mitgemacht haben und was wir noch alles mitmachen werden. Und falls ein Außenstehender sagt: » Das wäre nichts für mich«, dann halten wir das für eine Auszeichnung, weil es bedeutet, dass wir etwas machen, was andere nicht könnten. Ich kann mir gut vorstellen, dass es beim Bungee- oder Base-Jumping ähnlich ist, dass man bei diesen Sportarten den Nervenkitzel sucht und stolz ist, etwas getan zu haben, was sich andere nicht zutrauen. Nebenbei: Bungee-Jumping lässt mich kalt, wenn ich in ungemütlicher Höhe arbeiten will, entferne ich ein Wespennest.
    Drittens: Ich will Geld verdienen. Tatortreinigung wird üblicherweise sehr gut bezahlt, sofern wir nicht mittellosen Auftraggebern in finanzieller Hinsicht etwas entgegenkommen. Unser Stundensatz erreicht Arzt- oder Anwaltsdimensionen. Und wenn wir unseren Job gut gemacht haben, dann zahlt uns der Kunde hinterher das Geld mindestens genauso gern wie seinem Anwalt. Wir räumen Dinge weg, die kein Müllmann anfassen würde.
    Ich bin nie reich gewesen, meine Familie ist eine ganz normale
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