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Zwölf tödliche Gaben 6: Sechs Eier legende Gänse

Zwölf tödliche Gaben 6: Sechs Eier legende Gänse

Titel: Zwölf tödliche Gaben 6: Sechs Eier legende Gänse
Autoren: Stuart MacBride
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Sechs Eier legende Gänse

    Kathy Geddes war offensichtlich nicht in der Verfassung, einen Ausbruchsversuch zu wagen – so, wie sie sich dahinschleppte, geplagt von Hämorrhoiden und Narbenschmerzen. Aber das hieß noch lange nicht, dass man sie unbeaufsichtigt im Castle-Hill-Krankenhaus herumlaufen ließ.
    Val McIntyre trottete neben ihr her, die Hände in den Taschen ihrer Uniformhose. Natürlich hätte sie auch Zivil tragen können, das Ganze wie eine Undercover-Operation angehen, aber das hätte bestimmt Ärger gegeben. Nein, Gefängnisaufseher trugen nicht umsonst Uniform – so konnte man sofort sehen, wer wer war. Und außerdem wäre es ihr irgendwie nicht richtig vorgekommen, ohne Uniform eine Gefangene zu eskortieren. Ohne das beruhigende Gefühl des Schlüsselbunds, der bei jedem Schritt klirrend gegen ihr Bein schlug.
    Geddes humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht die Treppe hinunter und über den Flur hinaus in einen kleinen, kahlen Hinterhof, der auf vier Seiten von schmutzigen Backsteinmauern und flechtenbewachsenem Beton eingefasst war. Das Krankenhaus hatte genau in der Mitte des Hofs eine Art Wartehäuschen aufstellen lassen, damit die Patienten ihrer Nikotinsucht frönen konnten, ohne sämtliche Rauchmelder im Gebäude auszulösen.
    Ein asthmatischer alter Mann duckte sich in eine Ecke der Raucherhütte, einen Infusionsständer in der einen und eine zerfledderte Selbstgedrehte in der anderen Hand.
    Val wartete, bis er fertig war und davonschlurfte, ehe sie die Arme verschränkte und Geddes kritisch beäugte. »Sie wissen, dass Sie eigentlich nicht rauchen sollten.«
    »Leck mich!« Sie zog genüsslich an ihrer Zigarette und blies den Rauch gegen die Decke.
    »Sie sollen doch stillen!«
    »Scheiß drauf! Der kleine Bastard beißt mir bloß die Nippel blutig. Die seh’n jetzt schon aus wie Hackfleisch. Er kann aus der Flasche trinken.«
    »Nennen Sie ihn nicht so.«
    »Wie – ›Bastard‹? Warum denn nicht? Das isser doch, oder? Hab keinen blassen Schimmer, wer sein Vater ist.«
    »Ich mag das nicht.« Val kehrte ihr den Rücken zu und starrte durch die regennasse Scheibe hinaus in den Hof. Na ja, dachte sie, bald haben wir es hinter uns. Gott sei Dank.
    Hinter ihr summte Kathy etwas, was entfernt nach einem Weihnachtslied klang. Dabei deutete in der Raucherhütte nichts auf das bevorstehende Fest hin; der einzige »Schmuck« war ein großes Poster mit der Mahnung » Rauchen tötet !«.
    »Wann besorgen Sie mir endlich meinen Wodka?«
    »Sie sollen für das Baby sorgen und es nicht zum Alkoholiker machen!« Sie straffte die Schultern und sagte im strengen Gefängnisaufseherinnen-Ton: »Das reicht jetzt. Wir gehen zurück auf die Station.«
    »Aber ich will nicht!« Quengelnd wie ein bockiges Kind. »Ich hab die Schnauze voll von diesem Scheiß!«
    »Das hätten Sie sich überlegen sollen, bevor Sie sich haben schwängern lassen, Sie egoistisches kleines …« Val rieb sich das Gesicht, atmete tief durch. »Tut mir leid. Ich hab’s nicht so gemeint. Es war eine lange Woche.«
    Geddes zuckte nur mit den Schultern und trat wieder hinaus in den Regen.
    Das Krankenhaus, mit vollem Namen Oldcastle Royal Infirmary, brütete am Südosthang von Castle Hill vor sich hin. Das alte Gemäuer war ein Zeugnis viktorianischen Bürgerstolzes, ein Monstrum aus rotem Backstein mit langen, verschlungenen Korridoren. Irgendwann in den späten Sechzigern hatte die Stadt den Bau um zwei riesige Flügel aus Glas, Stahl und Beton erweitert.
    Die Entbindungsstation war im alten Teil.
    Sie hatten Kathy Geddes ein Einzelzimmer gegeben. In einer abgelegenen Ecke, wo sie die anderen Mütter nicht mit ihren Vorstrafen schockieren würde: Körperverletzung, unzüchtiges Verhalten, Trunkenheit in der Öffentlichkeit, Prostitution, Raub – und die Krönung: versuchter Mord.
    Sie verdiente es nicht, ein Kind zu haben. Sie war den drei Kindern, die sie schon hatte, eine schreckliche Mutter, ganz zu schweigen von dem Neugeborenen; sie trank, rauchte, nahm Drogen … Ganz anders als Val. Val und ihr Mann machten alles richtig, folgten gewissenhaft den ärztlichen Anweisungen, aber konnte sie vielleicht schwanger werden? Nein. Geddes warf wie ein verdammtes Karnickel, und Val konnte nicht mal eines bekommen.
    Sie saß auf dem unbequemen Besucherstuhl und bewachte das Kinderbettchen, während Geddes Chips mampfte und auf die Mattscheibe starrte.
    »Rolf« – so hatte sie ihren kleinen Jungen genannt. »Rolf Ainsley Schofield
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