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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt
Autoren: P Anders
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tot, wir haben dann ihren Oberschenkel aus dem Scheinwerfer des Unfallwagens geschabt, damit man feststellen konnte, ob die Scheinwerfer eingeschaltet gewesen waren. Und ihre Füße waren fort, die hab dann ich gesucht. Man weiß nie, was einem für dumme Gedanken kommen, wenn was passiert, also sollte man in jedem Fall nichts besonders Kluges oder Praktisches oder Kostengünstiges unternehmen: Wenn das Auto kaputt ist, dann steigt man aus, entfernt sich von der Autobahn und Schluss!
    Und man lernt, dass man Leichengeruch wie Leichengeruch bekämpfen kann, auch wenn es keine Leiche gibt. Wir sind kürzlich zu einem Einfamilienhaus gerufen worden, weil es im Kinderzimmer gestunken hat. Nach Leiche, eindeutig nach Leiche, und zwar aus der Wand. Schuld war ein Hornissennest im Abluftschacht dahinter. Jedes Jahr im Herbst entsorgen die Hornissen die Maden, die nicht mehr rechtzeitig schlüpfen werden. Sie werfen sie einfach vor die Tür, und wenn das Nest oben im Luftschacht ist, landen die Maden eben unten im Luftschacht, und verfaulende Maden riechen wie andere verfaulende Tote. Dass eine Ziegelwand Geruch nicht unbedingt aufhält, wussten wir dank unserer Erfahrung mit der Tatortreinigung. Wir haben die Wand aufgestemmt, das Nest entfernt– und den Boden des Schachts so gereinigt, wie wir es bei einem Tatort machen. Die Quelle entfernen, dann mit Chlorbleichlauge arbeiten. Ohne unser Leichenwissen hätten wir da Maskomal reingestellt, den Geruchsbekämpfer, mit dem wir bei unserem allerersten Einsatz in dem Turm mit dem Selbstmörder so auf die Nase gefallen waren. Wir hatten früher gelegentlich das Problem, dass nach Schädlingsbekämpfungseinsätzen die Geruchsbekämpfung mehrfache Anfahrten und höhere Kosten nötig machte– das hat mit zunehmender Erfahrung von Leichenfundorten praktisch aufgehört. Aber natürlich erwarten uns trotzdem ständig neue Überraschungen. Solche, wie wir sie im ersten Kapitel dieses Buches erlebt haben, als die Leichenumrisse im Estrich wieder erschienen sind. Einen Tag lang gemeißelt, und dann sind die Umrisse noch immer da. Ich hatte wirklich ernsthafte Sorgen. Wo etwas ist, kann auch etwas riechen, denke ich mir. Und es ist ja nicht so, dass wir schlampig gearbeitet hätten, ich kann nur einen Estrich nicht beliebig tief aushöhlen. Irgendwann sind wir dann bei den Nachbarn drunter, und das ist ja auch keine Lösung. Wir mussten es also zunächst darauf ankommen lassen, und das ist mir immer suspekt, weil mir die Gewissheit fehlt, dass alles, wirklich alles erledigt ist. Wir haben befürchtet, dass noch etwas nachkommt, eine Beschwerde, Klagen, dass jetzt der Rest der Wohnung stinkt, etwas in der Art. Aber was soll ich sagen: Der Wohnungsbesitzer hat die Rechnung bezahlt und fertig. Ich habe nichts mehr von ihm gehört. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als anzunehmen, dass wohl alles in Ordnung ist. Wenigstens hoffe ich das.
    Denn wenn nicht, sitzt womöglich derzeit eine junge Familie im Münchner Westen in ihrem Wohnzimmer. Sie sind frisch eingezogen, haben den Tisch gedeckt und erwarten Freunde, es klingelt an der Tür– sie öffnen, begrüßen die Besucher, führen sie stolz durch das kleine Apartment und jetzt, genau in diesem Moment, sehen sich die beiden Gäste an. Sie schnuppern durch die Nase, runzeln die Stirn und dann sagt einer von ihnen zu den Wohnungsbesitzern:
    » Ich will euch ja nicht den Spaß an eurer Wohnung nehmen, aber findet ihr nicht, dass es hier irgendwie– ganz komisch riecht?«
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