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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt
Autoren: P Anders
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Laden auf. Hier haben Sie meinen Namen und meine Adresse. Sie können dann gerne die Polizei rufen und mich von mir aus auch anzeigen, aber jetzt gehen Sie besser auf d’Seitn!« Ich habe ihnen am gleichen Tag per Express ihre verdammte Pumpe zurückgeschickt und nie wieder etwas von ihnen gehört. Aber manchmal frage ich mich schon, was in solch beschränkten Köpfen vorgeht. Sind sie so in ihren Kostenrechnungen versumpft, dass sie lieber meinen sterbenden Schwiegervater in einem völlig unterversorgten Heim lassen würden, als 24 Stunden auf eine Pumpe zu verzichten, die sie ja sowieso doppelt und dreifach in irgendeinem Vorratsraum stehen haben?
    Andererseits konnte ich mich so wenigstens ein bisschen nützlich machen. In München sah ich dagegen meinem Schwiegervater nur beim Sterben zu. Er hat hier noch eine Woche gelebt. Er hat es mitbekommen, dass wir ihn geholt haben, und er hat sich noch von Petra verabschiedet. Er war so geschwächt, dass er endlich loslassen konnte.
    Wir haben hier einen wirklich guten Arzt gefunden und uns mit ihm abgesprochen. Schmerz- und angstfrei sollte mein Schwiegervater sein, es sollte ihm gutgehen, aber wir wünschten keine lebensverlängernden Maßnahmen. Und so hat der Arzt es dann auch gemacht. Wir haben den Schwiegerpapa am Samstag geholt, am Sonntag ist er sogar noch herumgelaufen, aber ab Montag war er ohne Bewusstsein. Er hat bewusstlos weitergekämpft, es war ein harter Abschied.
    Wir grübeln noch immer, was wir hätten anders machen sollen. Aber man kann Menschen nicht ändern. Wir hätten durchaus häufiger nach Düsseldorf fliegen können, doch seine Standardantwort war immer: » Nein, das machen wir dann, wenn’s mir besser geht.« Wenn wir uns durchsetzen hätten wollen, hätten wir streiten müssen, und warum sollen wir in den letzten Monaten seines Lebens mit jemandem streiten, den wir lieben? Wir haben ja sowieso zu oft gestritten, weil die Gehirnmetastasen seine Persönlichkeit veränderten und er bösartig oder störrischer wurde. Dass die Metastasen schuld daran waren, darauf sind wir auch erst später gekommen. Und so ärgere ich mich schon über das ein oder andere: » Rutsch mir doch den Buckel runter!«, das ich flapsig zu ihm gesagt habe.
    Wir haben von den Zusammenhängen rund um den Krebs meines Schwiegervaters erstaunlich viel erst hinterher begriffen. Ich frage mich manchmal, warum. Und die Antwort ist wohl, dass man, wenn man direkt oder mittelbar betroffen ist, wie gelähmt vor dieser Krankheit steht. Selbst ein halbmedizinischer Profi wie ich, der alles im Internet recherchiert, Experten fragt, bei der Untersuchung von Leichen in der Rechtsmedizin anwesend ist und der sogar Thoraxdrainagen legt. Sicher, Schwiegerpapa hat uns von allem nur die Hälfte erzählt, er wollte seine Tochter schützen, und die Ärzte hatte er wohl auch ganz gut im Griff, sonst hätten sie vielleicht mehr verraten. Aber trotzdem: Ich weiß so viel von dem, was nach dem Tod passiert– warum wusste ich nicht mehr davon, was ihm vorausgeht? Warum habe ich die Inkontinenz nicht geahnt? Warum habe ich mir nicht an fünf Fingern abzählen können, dass der Krebs nicht einfach mal pausiert, sondern überall hinwandert? Und dass Metastasen nicht einfach harmlos im Gehirn sitzen wie Rentner auf einer Parkbank? Man ist in der Situation überforderter, als man glaubt.
    Wir denken noch immer viel an ihn. Es ist schade, dass er unser kleines Häuschen nicht mehr erlebt hat. Das hätte ihm gefallen. Vielleicht sieht er es ja auch. Als er starb, landete im Garten eine schwarze Krähe und schrie ganz laut. Er stellte das Atmen ein, und die Krähe flog davon. Na ja, da denkt man sich dann schon seinen Teil. Kann natürlich auch ein Zufall gewesen sein.
    Andererseits: Energie geht nicht verloren, sagt die Physik. Und ich denke, dass auch die Seele nach dem Tod nicht verlorengeht. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Bestandteile, dieses » mehr« verschwindet nicht, es geht irgendwohin. Aber das ist nur mein persönlicher Glaube, irgendwelche Belege dafür habe ich leider nicht. Gut, ein Notarzt, mit dem ich öfter zu Einsätzen fahre, macht jedes Mal, wenn wir nicht mehr helfen können, das Fenster im Raum auf und sagt: » Damit die Seele rauskann.« Aber das beweist selbstverständlich nichts, höchstens, dass der Notarzt eine etwas romantische oder vielleicht auch poetische Ader hat. Im Gegenteil: An den vielen Orten des Todes, an denen ich war, ist mir keine Seele eines Toten
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