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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt
Autoren: P Anders
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kleinbürgerliche Familie gewesen, meine Eltern konnten mir keine Wohnung schenken, kein Haus, kein Auto. Sie haben mich anständig erzogen, und mehr war nicht drin. Meine Frau kommt ebenfalls aus kleinen Verhältnissen, sie hat sich ein Sonnenstudio aufgebaut, mit einem Kredit von der Bank, ich habe selbst noch mit ausgeholfen. Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben, und darauf, dass wir uns ein kleines Haus bei München gebaut haben. Was letztlich wiederum gar nicht so überraschend ist, weil wir beide kaum Zeit haben, Geld auszugeben– wir arbeiten wirklich ziemlich viel. Mir tut jeder Auftrag weh, den ich nicht annehmen kann, ich habe dann das Gefühl, als würde ich Geld regelrecht wegwerfen, und das kann man doch nicht machen. Dieses zwanghafte Geldverdienen-Müssen ist mir nicht zuträglich, und ich habe schon öfter versucht, » nein« sagen zu lernen. Aber kaum klingelt das Telefon, höre ich mich schon sagen: » Ja, ist gut, wir kommen.« Vor allem und gerade zu Leichenfundorten.
    Hierin unterschiede ich mich von vielen meiner Kollegen. Obwohl sie wissen, was sich bei der Leichenfundortreinigung verdienen lässt, würden sie es trotzdem nie machen. Manchmal frage ich einen Kollegen, wenn Not am Mann ist oder wenn ich sehe, dass er wirklich gut zu uns passen würde, ob er bei uns mitarbeiten möchte. Aber die meisten lehnen ab. Schädlingsbekämpfung probieren sie vielleicht mal aus, auch da wird gutes Geld gezahlt, aber Tatortreinigung– das geht vielen zu weit.
    Viertens: Einen letzten Grund gibt es noch, meinen sportlichen Ehrgeiz. Ich bin Perfektionist. Ich will der beste Tatortreiniger Deutschlands werden. Nicht der größte oder so, ich denke nicht, dass ich ein großes Unternehmen führen möchte, dazu bin ich viel zu gern vor Ort. Aber eben der beste. Der vielleicht auch mal bei besonders komplizierten Fällen angefordert wird. Sagen wir, von Berlin aus, und da ist ein ganz furchtbares Szenario, und sie holen die besten Reiniger der Stadt, und alle schütteln den Kopf.
    Einer sagt: » Keine Chance.«
    Ein zweiter sagt: » Das schafft niemand.«
    Dann gibt’s eine lange Pause.
    Und dann sagt ein dritter: » Na ja, einen gibt es. Der schafft es vielleicht. Der Anders aus Garching.«
    Man wird ja mal träumen dürfen.

30. Epilog
    Man lernt nicht aus. Man lernt einfach nicht aus. So viele Wohnungen, so viele Tote, so viele Tierchen, und kein Fall ist wirklich wie der andere. Wir haben Wohnungen mit acht Wochen alten Leichen in einem einzigen Durchgang gereinigt und mussten zu anderen Wohnungen, in denen jemand schon nach drei Wochen gefunden wurde, fünfmal hinfahren.
    Man kann es einfach nicht vorhersagen. Die kompliziertesten Fälle lösen sich fast von selbst, die vermeintlich einfachsten Fälle werden die hartnäckigsten. Aber von Mal zu Mal werden wir besser. Alles, was wir lernen, können wir anderswo wieder einsetzen.
    Wir haben gelernt, dass man Wespennester nicht nur ausräuchern oder versetzen, sondern auch verschenken kann. Wirklich wahr, ich kenne eine Dermatologin, eine Hautärztin, die uns immer gern unsere Wespennester abnimmt, wenn wir nicht mit Gift gearbeitet haben. Sie braucht sie für Patienten, die allergisch gegen Wespenstiche sind. Sie nimmt die Nester und trennt einzelne Tiere ab, die in Behältern kühl gelagert werden und mit denen dann Patienten desensibilisiert werden. Sie nimmt dazu eine Wespe, setzt sie in einem Behälter, der unten offen ist, dem Patienten auf den Arm, und ärgert dann die Wespe, bis sie piekst.
    Man lernt, dass man immer einfach denken soll und vorsichtig, und dass es nichts Irrsinniges gibt, was Leute nicht tun. Neulich habe ich deshalb Füße gesucht. Die Füße einer Frau. Die Dame gehörte zu einem Pärchen, das nachts auf der Autobahn an der Stelle liegen geblieben war, wo die Autobahn von Nürnberg Richtung München nach Salzburg abzweigt. Die Autobahn hat dort fünf Fahrspuren, der Wagen steht rechts am Standstreifen, und aus unerfindlichen Gründen denken die beiden, zwecks Reparatur und Abschleppen wäre das Auto in München wohl besser aufgehoben. Also steigt sie aus, um den Wagen mitten in der Nacht quer über die beiden Abbiegespuren nach Salzburg zu schieben, hinüber zu den drei Fahrbahnen nach München. Der nächste Abbieger fuhr sie über den Haufen, er war völlig unschuldig, weil auf einer zweispurigen Abzweigung natürlich keiner Tempo 40 zu fahren braucht, da sind 100 Sachen keine übertriebene Geschwindigkeit. Die Frau war
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