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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt
Autoren: P Anders
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Problem ist: Je mehr man versteht, desto mehr Verständnis entwickelt man, und man merkt, die anderen sind nicht ausschließlich nur böse, sondern nur anders. Und wenn man selbst einer von ihnen wäre, würde man nicht genau dasselbe tun wie sie? Und falls das so ist– ist das dann noch in Ordnung, was man selbst tut?
    Beim Schädlingsbekämpfen ist es genauso. Um Speckkäfer, Fliegen, Wespen, Ratten zu bekämpfen, muss ich wissen, was sie tun und warum sie es tun. Und dabei merkt man: Die Tiere sind ganz in Ordnung, meist sind sie sogar berechenbarer als der Mensch. Die Fliege will in der Leiche ihre Eier ablegen – ist diese weg, verschwindet auch die Fliege. Die Wespe mag es warm. Im Sommer werde ich öfter zu Wespennestern gerufen, und wenn dann die Leute erfahren, dass es eben doch 100 Euro kostet, das Nest zu entfernen, lassen sie’s und sagen: » Ach, da außen stören sie ja niemanden.« Ich sage dann immer: » Im Spätherbst wird das anders aussehen. Da kommen die Wespen nach innen. Und sie suchen keine Blüten, sondern irgendetwas zu essen, gerne mal Fleisch, und das können sie im Haus genauso gut machen wie im Garten. Aber im Herbst ist es im Garten kalt, und die Wespe friert genauso ungern wie Sie.« Und an dieser Stelle fängt bei mir das Verständnis für die Wespe an. Sie friert nicht gern– das ist ein sehr menschlicher, nachvollziehbarer Zug an ihr. Recht hat sie, niemand sollte frieren müssen. Und deshalb muss man die Wespe gleich töten? Schon denkt man: arme Wespe.
    Ändern kann ich’s trotzdem nicht. Und das Mitleid ist auch nicht immer gleich groß. Wenn man bei einer Leiche auf Tausende Fliegen stößt, die einem ins Gesicht fliegen, lässt das Mitgefühl für die Tierchen rasch nach. Wenn man Hunderte Bettwanzen von einem Bettgestell wischt, findet man das rasch ziemlich widerlich. Mit der einzelnen Wanze, mit der einzelnen Schabe ist das schon schwieriger. Und am schwierigsten ist das mit der einzelnen Ratte.
    Ratten sind eine Herausforderung. Ich kenne keine clevereren Tiere, und diese Intelligenz fordert auch eine gewisse Anerkennung. Deswegen gehen mir Rattenfälle auch meistens näher als Mäusefälle. Ratten sind gewitzt, kreativ, logisch– Mäuse sind dumm wie Stroh. Das ist wirklich wahr: Eine Mäusepopulation kann man mit diesen ganz normalen Schlagfallen ausrotten bis zur letzten Maus, die rennen sturheil weiter in den Tod. Das würde Ratten nicht passieren, die merken das vorher. Und wenn’s ihnen unheimlich wird, hauen sie ab und nehmen ihr Wissen mit. Ich habe noch nie eine ganze Rattenpopulation beseitigt, und das ist vielleicht auch etwas Versöhnliches bei der ganzen Angelegenheit: Es ist wie ein Spiel, wie ein Match, bei dem man immer wieder auf denselben Gegner trifft. Man tötet ihn irgendwie nicht so ganz, man sagt ihm aber: Pass auf, mein Freund, ab sofort gibt’s jetzt auch hier für dich Ärger, hau mal besser ab! Das ist faktisch natürlich Quatsch, aber das ist einer der Gedankentricks, mit denen man sich ein wenig über die Tatsache hinwegmogeln kann, dass man massenweise Tiere umbringt. Jedenfalls so lange, bis man einmal wirklich Hand anlegen muss.
    Wir waren von einer Hausverwaltung angerufen worden, Rattenbefall in einem Mietshaus. Und wir haben uns daraufhin den Keller angesehen. Es roch nach Rattenpisse, der Befall war da, also haben wir sechs Wochen lang Gift ausgelegt. Und wir haben jede Menge Giftarten, für Ratten hat man sich die heimtückischsten Dinge ausgedacht. Rattengift ist mit Aromastoffen versetzt, die Ratten lieben. Es gibt das Gift als Krümelfutter, als Wachs oder als Gel, je nachdem, was die Ratte braucht. Wenn man zum Beispiel weiß, dass die Ratten wenig Wasser zur Verfügung haben, nimmt man Gel, weil die Ratte auf der Suche nach Feuchtigkeit lieber dazu greifen wird. Es gibt vergiftete Wassertröge, die man rundum mit Pulver beschichtet, das im Fell hängenbleibt und das die Ratte dann aufnimmt, wenn sie sich putzt.
    Und man hat ziemlich fiese Langzeitgifte entwickelt, extra für die Ratte.
    Denn Ratten leben in Gruppen von zehn bis 20 Tieren. Und was immer man ihnen vorsetzt, sie schicken zunächst die jüngsten Tiere vor. Die junge Ratte nimmt den vergifteten Köder, und ab da steht sie unter Beobachtung. Die ganze Gruppe schaut, ob sie sich normal verhält, gesund bleibt, ob sie oder ihr Atem anders riecht. Und wenn das der Fall ist, wenn die Ratte im Beobachtungszeitraum stirbt, dann wird keine Macht der Welt die anderen
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