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Traeumer und Suender

Traeumer und Suender

Titel: Traeumer und Suender
Autoren: Matthias Goeritz
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I.
    Â«Sehen Sie die Luft? Wie sich das Sonnenlicht in den Fasern, Pollen und Blütensamen bricht – wie in Tausenden von Diamanten? Man hat das Gefühl, durch die Gegend zu schwimmen. Dieses Licht gibt es nur in Italien. Hören Sie? Ein Möbelwagen fährt die Straße hinab,
Traslochi, Traslochi
steht auf den Türen und an den Seiten. Umzug. Ein scharfes Bremsen, Poltern, zwei Männerstimmen, die sich eher ansingen als anschreien, unverständlich. Für einen kurzen Moment ist die Luft über dem Platz in Bewegung geraten, man sieht, wie kleine Wirbel alles mit unsichtbaren Pinselstrichen verzieren, dann tritt der Staub wieder in seine fast fließende, zähe, stetige Bewegung zurück. Die Luft hat etwas von flockigem Wasser, ruhig und schön, das Licht zittert wie ein noch ganz junger Körper in der morgendlichen Kühle. Der Möbelwagen fährt weiter; das nur von den Vögeln und Handgriffen der Marktbeschicker unterbrochene bedächtige Schweigen nimmt wieder seinen kurzen, aber wichtigen Platz ein im Tagesverlauf. Ach. In so einem kleinen Bild steckt doch das ganze Leben, meinen Sie nicht?
    Wussten Sie, dass in Griechenland auf den Möbelwagen
Metafora
steht? Das haut einen doch um. Umzug: die Metapher an sich. Wie kamen wir darauf? Ach ja, ich bin in die Nähe von Rom gezogen, weil ich es in letzter Zeit in Los Angeles und New York nicht mehr ausgehalten habe. Die Luft, der Verkehr, dauernd will jemand etwas von einem;mein Herz macht das nicht mehr mit. Immer das Zugpferd sein, immer die gleiche hoch trainierte Nummer. Nicht, dass Sie mich missverstehen: Ich bin diesen Monat noch in Cannes; vom Geschäft zurückgezogen habe ich mich nicht, nein, noch lange nicht. Aber ich brauche Veränderung, Wechsel, der nicht nur mit Kulissen, Badezeug, Morgenrock, Produktionsschlabberlook und Abendgarderobe für Partys und Premieren zu tun hat. Italien tut mir gut. Kann man durchatmen. Ich habe einen Freund hier gleich um die Ecke im nächsten Ort, Cy Twombly, kennen Sie den? Natürlich. Der lebt seit den Fünfzigern hier. Sagt, er könne ohne das Licht hier gar nicht mehr arbeiten.»
    Der alte Mann hatte zu sprechen begonnen, und wie es schien, würde er so bald nicht mehr damit aufhören. Das Zimmer war dunkel, die Vorhänge aus schwerem rotem Samt schienen die durch den meterbreiten Spalt hereinströmende Luft zu erdrücken. Der Raum roch ranzig, nach den talgigen Ausdünstungen alter Haut, und die scharfen klinischen Gerüche, die er mit Krankenhausfluren und Medikamenten in Verbindung brachte, legten sich darüber. Der Interviewer hatte in einem Ledersessel Platz genommen und bemühte sich, still zu sitzen, kein Knarzen sollte später auf dem Aufnahmegerät, das er mit dem großen Mikrofon vor sich aufgebaut hatte, zu hören sein. Man wusste ja nicht, ob nicht auch ein Radiosender an seinem Beitrag Interesse zeigen würde. Jedenfalls wäre es dann besser, die Aufnahme käme klar und möglichst geräuschfrei rüber, wobei ihm der fröhliche Lärm des Platzes, den ihm der alte Mann gerade in so farbigen Worten beschrieben hatte, durchaus in den Kram passte. Atmo war immer gut.
    Â«Ãœbrigens haben wir gerade eine neue Produktion laufen in Cinecittà, ist aber noch geheim, kann ich Ihnen nichts drübersagen. Na ja, in meinem Geschäft muss man flexibel bleiben.»
    Der Interviewer bemerkte die Sauerstoffflasche, die der alte Mann in dem altmodischen Rollstuhl aus Holz neben sich stehen hatte. Sein Gastgeber nahm einen Zug aus der Atemmaske, drehte dann den Knopf zu und hängte die Maske über einen der Karrengriffe. Die Flasche auf der Sackkarre neben ihm wirkte wie ein roboterartiger stummer Diener, ein Zweitkörper, aus dem sich der Mann dann und wann bediente, um seine verfallende Hülle weiter wie einen alten Zeppelin oder etwas ähnlich Technisches in Form zu halten.
    Diese ganzen Hilfsmittel passten nicht zu der kräftigen, singenden Stimme – es war so gar keine Altmännerstimme.
    Â«Was meinen Sie, wollen wir? Ja, lassen Sie uns über die Arbeit sprechen. Wie wird man der gefragteste Fixer Hollywoods, der großen New Yorker Fernsehsender und der europäischen Filmzentren, das wollen sie doch wissen? Der ‹Größte›, das ist absolut realistisch, das können Sie ruhig so stehen lassen.»
    Nein, eigentlich war die blaue Sauerstoffflasche kein Roboterzwilling des
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