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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt
Autoren: P Anders
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desto sicherer findet man einen, dem noch ein paar Supertricks einfallen, mit denen man den Tod ganz, ganz bestimmt besiegt. Sein letzter Arzt hat ihn dann richtig abgezockt. Wir haben uns mit dem bis aufs Blut gestritten, aber er hat meinem Schwiegervater bis zuletzt noch Aufbaupräparate verschrieben, im Endstadium, in einer Phase, in der es weder viel aufzubauen gab noch die Lebensqualität so war, dass es angenehm gewesen wäre, das Leben zu verlängern.
    Aber wir sind da vielleicht auch ungerecht: Mein Schwiegervater hat um sein Leben gekämpft, bis zum Schluss, diesen Kampf haben wir wahrscheinlich schon ein wenig früher verloren gegeben, womöglich auch deshalb, weil wir eben nicht selbst die Kranken waren und immer gesehen haben, in welch schlechter Verfassung er war.
    Im Sommer 2009 ging es dann massiv bergab. Petra ist öfter zu ihm geflogen, wir haben ihn dann alle 14 Tage in Düsseldorf besucht, seine zwei Brüder haben sich in der Zwischenzeit um ihn gekümmert. Aber beide sind halt auch keine gelernten Pfleger und stoßen bei so etwas an ihre Grenzen. Wir haben ihn gedrängt, zu uns zu kommen. Aber er wollte nicht. Er wollte sich auch nicht helfen lassen. Heute nehmen wir an, es geschah aus Scham. Wir haben beim Ausräumen seiner Wohnung an den Spuren in der Wäsche festgestellt, dass viele Körperfunktionen nicht mehr zuverlässig arbeiteten. Er muss teilweise inkontinent gewesen sein. Und das war ihm peinlich. Heute fragen wir uns natürlich, ob wir es hätten erraten können. Oder ob er zu uns gekommen wäre, wenn wir’s gewusst hätten und er es nicht mehr hätte verbergen müssen. Aber so, wie es letztlich gelaufen ist, konnten wir ihm erst helfen, als er völlig hilflos war.
    Wir hatten einen Pflegedienst organisiert, der ihn versorgte. Aber im Spätherbst, so gegen November, Dezember, meldete sich ein Pflegedienstmitarbeiter bei uns und sagte: Es geht nicht mehr. Wir haben dann versucht, ihm einen Hospizplatz in München zu organisieren. Aber er wollte partout in ein Düsseldorfer Hospiz. Und als er dort war, beging er einen Selbstmordversuch.
    Er hatte inzwischen auch Metastasen im Gehirn, und er entwickelte Psychosen, Wahnvorstellungen. Nach nur drei Stunden begann er im Hospiz Gegenstände aus dem Fenster zu werfen, aus dem zweiten Stock. Er hat das Zimmer von innen blockiert, Stühle rausgeschmissen und die Autos drunter beschädigt. 10 000 Euro Schaden. Dann haben sie ihn in die geschlossene Abteilung des Bezirkskrankenhauses in Viersen verlegt.
    Wie das hat sein können, habe ich bis heute nicht verstanden. Mein Schwiegervater war Krebspatient im Endstadium, extrem pflegebedürftig– und dann verlegt man ihn in eine Station, wo zwei Helferlein auf 30 , 40 Leute aufpassen. Die haben meinem Schwiegervater die Medikamente mit Wasser aus dem Anderthalb-Liter-Messbecher runtergespült, da gab’s kein Glas, die haben ihre Patienten betankt wie andere Leute ihre Blumen gießen, weil’s weniger Arbeit macht. Wenn ich daran denke, könnte ich heute noch einen Tobsuchtsanfall bekommen.
    Gesagt hat uns davon niemand etwas. Wir haben täglich mehrfach mit den Pflegern und den Ärzten telefoniert, die uns sogar noch gefragt haben, was er gern isst. Da können die von mir aus ein Spanferkel braten, wenn sie niemanden haben, der den Patienten damit füttert, ist das doch Schwachsinn hoch zehn! Man konnte ihm eine Tasse Kaffee hinstellen, in der hat er dann eine halbe Stunde rumgerührt – aber nichts getrunken, weil er sie nicht hochheben konnte. Und so ging das schon seit einer Woche! Es tut mir um jeden Tag leid, den mein Schwiegervater dort zubringen musste.
    Ich habe sofort gesagt, wir nehmen ihn mit. In ruhigem, aber bestimmtem Tonfall.
    Wir haben ihm innerhalb von drei Tagen einen Platz in einem Münchner Hospiz besorgt und den Krankentransport dorthin organisiert. Das Einzige, was wir nicht organisieren konnten, war eine Morphinpumpe für den Transport, die Akkus aus dem Münchner Krankenwagen waren wegen der Kälte im Eimer. Aber ohne Pumpe gab es keine Schmerzfreiheit. Doch niemand aus dem Bezirkskrankenhaus war bereit, uns eine Morphinpumpe für die Fahrt nach München zu leihen.
    Ich habe der zuständigen Krankenschwester gesagt, dass wir uns jetzt auf den Weg machen würden, meine Frau, mein Schwiegervater und ich. Und die Pumpe nehmen wir mit. » Die klau ich jetzt, und Sie fassen hier besser weder mich noch meinen Schwiegervater an«, habe ich ihr gesagt, » sonst misch ich Ihnen Ihren
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