Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
Vom Netzwerk:
als ich sie über mich zog, glaubte ich, Maria zu riechen. Maria, die vermutlich längst aufgesägt und bis ins letzte Geflecht ihres Körpers hinein untersucht worden war und in der man nichts anderes gefunden hatte, als das, was vom Notarzt bereits diagnostiziert worden war, Nüsslein, dachte ich, was für ein absonderlicher Name.
    Noch bevor mich die Zudecke zu wärmen begann, fragte ich mich, ob ich jemanden über Marias Tod unterrichten musste. Vielleicht ihre Nichte, wenn es sie denn gab, und wenn nicht, dann irgendjemand anderes, der auf ihrem Handy gespeichert war, aber als ich kurz darauf aufstand, konnte ich es nirgends finden. Ich vermutete, dass die Polizei es mitgenommen hatte, und auch, dass gewiss sie die notwendigen Anrufe erledigen würde, und letztlich fühlte ich mich erleichtert, so von weiteren Verstrickungen befreit zu sein. Obwohl ich nicht wusste, was ich noch zu finden hoffte, zog ich mich an und setzte meine Suche fort, aber irgendwann kam ich mir dabei wie ein Leichenfledderer vor und legte mich zurück aufs Bett. Ich sah gegen die Decke des Wagens, die von den vielen Jahren grau geworden war, grau und fleckig, und als ich wenig später erneut aufstand und begann, mit einem feuchten Lappen über die Dreckstellen zu wischen, hellte sich die Decke sofort auf. Begeistert wischte ich weiter, wischte mich von einer Ecke in die andere und wieder zurück, wischte zur Sicherheit auch noch einmal dort, wo längst gewischt war, und als ich mich nach getaner Arbeit auf die Bank am Tisch sinken ließ und mein Werk betrachtete, befiel mich eine wohlige Mattheit.
    Ich beschloss, das Innere des Wagens auch sonst auf Vordermann zu bringen. Während der gemeinsamen Tage im Bus war es mir nie aufgefallen, jetzt, da ich allein war, glaubte ich überall Unordnung zu sehen. Kleidung, Bücher, alte Zeitschriften, alles lag herum. Auch Marias Pullover lag herum, auf dem Bett, wo sie ihn am Abend ausgezogen hatte, und als ich ihn an mich nahm, um ihn in den Schrank zu hängen, roch ich den Schweiß ihres Auftritts, ihre Angst vielleicht und den Schmerz ihres verdrehten Fußes. Ich hielt ihn einige Sekunden in den Händen, dann schloss ich die bereits geöffnete Schranktür wieder und legte den Pullover in meine Tasche, und schließlich sortierte ich die Bücher auf Marias Regal über dem Bett. Zuerst alphabetisch nach Autorennamen, und als mir das Ergebnis nicht gefiel, ein zweites Mal nach Größe, beginnend mit einem Bildband über Sizilien und endend mit Leonce und Lena als Reclam-Bändchen, und als die so entstandene Reihe immer wieder in Richtung der kleinen Bücher umzukippen drohte, sicherte ich sie mit ein paar quergestapelten Romanen, die ich aus der Mitte herausnahm, eine Störung meiner Ordnung, die mir zumindest vorübergehend hinnehmbar schien.
    Vom Altersheim zog einen Wolke mit Kantinengerüchen über den Parkplatz, und mir wurde bewusst, dass ich seit meinem griechischen Grillteller vor mehr als vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen hatte. Zwar fühlte ich mich noch immer nicht hungrig und wusste um den kläglichen Rest in meinem Geldbeutel, trotzdem setzte ich mich nach einigen Minuten hinters Steuer und startete den Wagen. Ich hatte nicht vor, die Stadt zu verlassen, sondern wollte nur weg, weg von diesem Parkplatz, weg von diesem unseligen Ort, aber als ich Minuten später die Stadtgrenze erreichte, fuhr ich einfach weiter. Ich fuhr weiter, auch dann noch, als sich die Dämmerung und schließlich die Nacht über die Straßen legte, und dass nur einer der beiden Scheinwerfer funktionierte, war mir für den Moment egal.
    Maria hatte mir nicht erzählt, wo ihre Tour nach Bingen für sie weitergehen sollte, trotzdem kam ich mir vor, als wäre ich bereits unterwegs zu ihrem nächsten Auftrittsort. Ja, ich fuhr auf derselben Straße, die auch sie genommen hätte, die wir genommen hätten, ihr Knöchel noch immer ein wenig dick, aber nicht weiter schlimm. Ich legte eine Deep-Purple-Kassette ein, Musik, die auch Maria für die Fahrt hätte wählen können, und fuhr dabei so schnell, dass auch das nach ihrem Geschmack gewesen wäre. Irgendwann begann ich zu frieren und drehte die Heizung bis zum Anschlag auf, aber das Gebläse knackte nur müde vor sich hin, und als ich meine Hand vor die Lüftungsschlitze hielt, spürte ich nicht den leisesten Luftzug.
    Ich griff hinter den Sitz, wo ich die Mütze vermutete, die mir Maria in Remagen geschenkt hatte, und als ich sie dort nicht fand, hielt ich am
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher