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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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eigentlicher Zweck, der erste Teil einer Zermürbungsstrategie, die mit einem verspannten Rücken begann und in einem tränenreichen Geständnis endete. Ich wusste, was eine Embolie war, und ich wusste auch, dass sie durch eine einfache Spritze zu verhindern gewesen wäre. Aber wer wollte mir daraus einen Strick drehen? Wer außer vielleicht ich selbst? Wahrscheinlich hatte ich in der Tat nicht alles unternommen, um Maria davon zu überzeugen, einen Arzt zu rufen. Und wie hätte sie sich schon dagegen wehren können, hätte ich es einfach getan? Immer tiefer verhedderte ich mich in Vorwürfen, umso mehr, da mir plötzlich wieder einfiel, dass Maria selbst mir die Schuld an ihrem Unfall gegeben hatte. Mir und meinem unsinnigen Wunsch, sie einmal als Maria auf der Bühne zu sehen, schutzlos und nackt wie ein frisch geschlüpfter Vogel.
    Draußen riss der Himmel auf. Ich erhob mich gerade von meinem Stuhl, um noch einmal zum Fenster zu gehen, als sich in meinem Rücken die Tür öffnete. Ich drehte mich um und sah in das Gesicht eines Mannes, der müde wirkte, müde und grau, «bitte», sagte er mit überraschend heller Stimme, «wir können dann.»
    Ich folgte ihm hinaus in den Flur und weiter in ein Amtszimmer, das aussah, als sei es zusammen mit ihm alt geworden. Über den Raum verteilt standen auf Rollschränken und Aktencontainern mehrere Grünpflanzen, auch sie nicht mehr jung und, wie es schien, mit dem Mobiliar bereits verwachsen, dabei sorgsam gepflegt und ohne ein einziges welkes Blatt. Der Polizist setzte sich mir gegenüber hinter seinen Schreibtisch, und nachdem er sich einen einfachen Block gegriffen und meine persönlichen Daten von meinem Personalausweis darauf übertragen hatte, schob er sich mit den Armen über den Tisch auf mich zu und lächelte mich an.
    «Dann legen Sie mal los», sagte er, und als ich nicht sofort auf seine Aufforderung reagierte, fügte er hinzu: «In welchem Verhältnis standen Sie zu der Frau?»
    «Zu Maria?», fragte ich zurück.
    Der Polizist nickte. «Wenn Sie sie so nennen wollen.»
    Ich überlegte einen Moment und spürte, wie alles um mich herum in milchigem Nebel versank. Wie sollte man nach sieben Tagen wissen, in welchem Verhältnis man zueinander stand? Wie sollte man nach sieben Tagen überhaupt irgendetwas wissen? Ein diffuser Schmerz bohrte sich in meinen Bauch, in meine Lungen, ich sah den Polizisten lächeln, noch immer lächeln, als sei sein Bild eingefroren, eingefroren wie das des Bundespräsidenten, der auch hier von der Wand blickte, wenngleich, so bildete ich mir ein, nicht ganz so gütig wie zuvor.
    «Bitte», hörte ich mich flüstern, «kann ich etwas zu trinken haben?»
    Der Polizist stand auf und füllte Wasser in ein schlankes Glas, auf dem Reste eines verblichenen Wappens zu erkennen waren, und nachdem ich einige Schlucke genommen hatte, ging es mir wieder ein wenig besser.
    «Maria», sagte der Polizist, «war Ihr Kosename für sie?»
    «Aber nein», erwiderte ich, «so heißt sie ja. Maria Merz. Marie Mercier nennt sie sich nur auf der Bühne.»
    «Und was wissen Sie noch über sie?» Der Polizist sah mich an. Ein weicher, gewiss an Hunderten Verhören geschulter Blick, ein Mann, der, ich war mir sicher, nie auf etwas anderes gesetzt hatte als auf ein grundlegendes Einverständnis mit seinem Gegenüber.
    «Sie hat einmal im Gefängnis gesessen», sagte ich, «aber für was, weiß ich nicht.»
    Der Polizist nahm seinen Blick von meinem Gesicht und ließ ihn über ein Protokollblatt fliegen, das vor ihm auf dem Tisch lag, und als er von dort zurück zu mir schaute, schüttelte er bedächtig seinen grauen Kopf.
    «Die Frau hieß Annemarie Kuhlmann, wir haben ihren Ausweis. Und im Gefängnis war sie nie.»
    Er hob das Protokoll an, unter dem in der Tat ein Personalausweis lag, und als er ihn mir wortlos über den Tisch reichte, erkannte ich Maria auf den ersten Blick. Ich las den Namen, den mir der Polizist genannt hatte, und auch ihr Geburtsdatum, das gerade einmal drei Wochen von meinem entfernt lag, und als ich dem Polizisten den Ausweis zurückgab, nickte ich und sagte: «Maria hat mir besser gefallen.»
    «Herr Epkes, wir werden Ihre Bekannte jetzt untersuchen müssen. Das ist Routine, wenn die Umstände ein wenig sonderbar sind. Wir brauchen von Ihnen eine Telefonnummer und würden Sie bitten, sich zur Verfügung zu halten. Wenn die Obduktion das vorläufige Untersuchungsergebnis des Arztes bestätigt, dürfen Sie die Stadt wieder verlassen. Haben
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