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046 - Viva Las Vegas!

046 - Viva Las Vegas!

Titel: 046 - Viva Las Vegas!
Autoren: Timothy Stahl
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»… Vegas! Wir sind da!«, sagte Benson, heiser vor Freude und Ehrfurcht in einem, und ein wenig auch von dem Staub, den er in den langen Wochen des Trecks geschluckt hatte.
    »Ich kann es riechen, schmecken, anfassen«, fuhr er fort, wie ein Prediger, der die leibhaftige Präsenz der Götter glaubhaft machen wollte, »unser Glück, Hedge - es liegt vor uns, wartet auf uns! Kannst du es denn gar nicht spüren?«
    Er sah seinen Freund an, dessen Begeisterung der lange und mühsame Marsch durchs halbe Land zwar nicht gänzlich aufgezehrt, aber doch angefressen hatte.
    »Hey, was ist mit dir?«, fragte Benson und stieß Hedge an, der wie im Tagtraum versunken dastand und den Blick aus schmalen Augen stumm schweifen ließ.
    Hedge, kleiner und gedrungener als sein hochaufgeschossener und fast hagerer Kumpan, den er von Kindesbeinen an kannte, seufzte und erwiderte: »Ich frag mich nur, ob es auf der ganzen Welt genug Glück geben kann, dass es für so viele Menschen reicht. - Und riechen«, er zog geräuschvoll die Nase hoch, »tu ich nur den Gestank von all diesen Motorkarren.«
    In dem Duftkonglomerat, das neben dem Staub die Luft schwängerte, mischte sich der Geruch von Fetten, Ölen und Alkohol und was heutzutage sonst noch alles als Treibstoff Verwendung fand.
    Dabei wanderte Hedges Blick wieder den Zug aus meist hoch und schwer beladenen Karren, Kutschen und motorisierten Gefährten entlang, dessen Ende irgendwo jenseits des felsigen Horizonts im Osten lag - wenn er überhaupt irgendwo endete…
    Er und Benson standen seit drei Tagen und Nächten in dieser Schlange, die sich träge, unendlich langsam zwischen den kahlen Bergen hervor und über die staubige, karge Ebene wand, jener Stadt zu, deren sagenhafter Ruf sie allesamt hergelockt hatte.
    Hunderte mussten es sein, Aberhunderte, und jeder Einzelne hoffte und vertraute darauf, dass das Wagnis, alle Zelte abzubrechen und der Heimat den Rücken zu kehren, belohnt würde - dass Vegas ihnen das Glück und den Wohlstand bescheren mochte, die ihnen anderswo nicht zuteil geworden waren.
    »Du bereust doch nicht etwa, dass wir unserem Traum gefolgt sind, oder?«, fragte Benson fast erschrocken. »Mann, Alter - davon haben wir doch geträumt, seit wir zum ersten Mal von Vegas hörten, oder?«
    »Yeah, schon…«
    »Dafür haben wir all die Jahre geschuftet und uns nichts gegönnt, nicht geheiratet, keine Familie gegründet - um uns eines Tages frei und ungebunden aufzumachen, um unser Glück zu suchen. Hab ich Recht?«
    »Sicher, sicher. Nur…« Hedge hob die Schultern. Er wusste ja selbst nicht recht, was auf einmal mit ihm los war, woher der Zweifel rührte, vielleicht doch keine so weise Entscheidung getroffen zu haben.
    Vielleicht, dachte er, kam ihm ja zu Bewusstsein, dass er in all der Zeit eigentlich nur Bensons Traum vom Glück »mitgeträumt« und sich eingeredet hatte, dass es auch sein eigener war…
    »Nur was?« Benson schlug Hedge mit dem Handrücken gegen die Brust, als der nicht weitersprach. Staub wölkte aus der vor Schmutz seltsam farblosen Wanderkutte des Dicken.
    »Komm, spucks aus. Wir sind Freunde, oder? Wir können über alles miteinander reden, stimmts? Also, wo drückt der Schuh, he?«
    »Mann, Benson!«, brach es ungewohnt heftig aus dem kleinen Dicken hervor. »Guck dir doch bloß all die Leute an, die nach Vegas wollen - und alle aus demselben Grund wie wir! Wie, frage ich dich, soll genug Glück da sein für all diese Menschen?! Das müssen Zigtausende und mehr gewesen sein in all den Jahren - und jeden Tag kommen ein paar hundert neue dazu!«
    Benson grinste väterlich und winkte ab.
    »Hedgy, mein Bester«, sagte er, und allein sein optimistischer Tonfall genügte, um Hedge zu beruhigen, ein bisschen wenigstens, »dir fehlt einfach der richtige Blick für die Dinge. Du stellst dir die falschen Fragen und gibst dir obendrein noch die verkehrten Antworten darauf. Siehs doch lieber so: Warum sollte es nicht genug Glück für alle Menschen geben? Nur weil es dort, wo wir herkommen, so war? Du musst endlich in anderen Bahnen denken, mein Alter, so wie ich - und, darauf möcht ich wetten, so wie die Allermeisten hier!« Er wies auf die Reihe derer, die auf den Einlass ins Spielerparadies warteten, und Hedge ließ sich einmal mehr anstecken von seiner Frohnatur.
    Daran lag es wohl, dass sie zeitlebens schon Freunde waren - eben weil sie sich so unterschieden: Wo Hedge zur Schwarzseherei neigte, sah Benson stets das Licht am Ende des Tunnels.
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